Als der Tag begann
Popel an der Lehne der Couch abwischte. Nur mir schien der Vorfall aufgefallen zu sein, und ich wünschte mir, es ihm irgendwie erklären zu können – ich wusste ja, wie das hier auf ihn wirken musste, ich hatte es begriffen. Ich sah ihn weiterhin unverwandt an, damit er sah, dass ich ihn verstand, aber er blickte immer nur kurz zu mir, bevor er gleich wieder wegsah.
»Nun ja, und wenn man nur einige bestimmte Bände haben möchte?«, fragte Lisa jetzt. »Wie zum Beispiel Ihre Sonderausgaben zu den Präsidenten oder den Kriegen?«
Was dachte sich meine Schwester eigentlich? In welcher Wohnung wachte sie jeden Morgen auf? Wenn wir tagelang kein richtiges Essen vorgesetzt bekamen, was spielte es denn da für eine Rolle, ob wir die Peloponnesischen Kriege nachschlagen wollten oder in welchem Jahr Abraham Lincoln geboren war? Bei meinen Beobachtungen, wie sie zu den Zahlungsvorschlägen des Mannes nickte, von denen ich wusste, dass wir sie nie einhalten könnten,
genau wie er sich wahrscheinlich im Klaren darüber war, dass wir niemals unterschreiben würden, während Ma ihre Popel aß und Daddy alle fünf Sekunden auf seinem Stuhl herumrutschte, da wollte ich, dass Lisa das Ausmaß dieses ganzen Irrsinns begriff und ihn deutlich wahrnahm, so wie ich.
Ich bin mir nicht sicher, wer erleichterter war, als diese Tortur endlich vorbei war, Matt oder ich. In den folgenden dreieinhalb Monaten, die Ma wieder im Krankenhaus verbrachte, verschränkte Daddy, sobald eine Britannica -Werbung lief, die Arme und warf mir heimlich vielsagende Blicke zu, wobei er Richtung Lisa nickte. Jedes Mal durchlebte ich diese Blamage mit unserem allerersten Hausgast noch einmal von vorn.
Zu Lisas großer Enttäuschung kamen die beiden Freiexemplare nie an.
Fünf Tage danach wurde Ma wieder eingewiesen, und der nächste Monatsscheck stand noch aus. Ich durchsuchte sämtliche Schränke, um alle total leer vorzufinden, ohne einen Krümel zu essen. Ich war am Verhungern. Als meine Bauchschmerzen sich mehr in ein Bauchbrennen verwandelten und ich immer wackeliger auf den Beinen wurde, beschloss ich loszuziehen, um etwas an meiner Lage zu ändern. Im Hinterkopf hatte ich einen Bekannten von Rick und Danny, einen Jungen namens Kevin, der, obwohl er nicht viel älter war als ich, immer Geld in der Tasche hatte und endlos über irgendeinen Job redete.
Weil es bereits zehn Uhr morgens war und man Kevin nie tagsüber im Viertel rumhängen sah, liefen die Jungs und ich rüber zur Fordham Road, Ecke University Avenue, wo wir ihn möglicherweise auf seinem Weg zur Arbeit abfangen konnten. Wir entdeckten Kevin an der Zwölfer Bushaltestelle vor dem Aqueduct Park, eine Gegend, die jeder nur Dead Cat Alley nannte. Typen aus der Grand Avenue ließen hier ihre Pitbulls auf streunende Katzen los, deren blutige und entstellte Leichen man dann fast jeden Sonntagmorgen über den Teer verteilt finden konnte. Dieser Gasse näherte
ich mich nur, wenn ich musste; der Anblick eines schlaffen Katzenkörpers mit nass glänzenden Blutflecken auf dem Fell verursachte mir Albträume.
Als wir von der University Avenue auf die Fordham einbogen, war Kevin gerade an der Vordertür eines Busses ausgestiegen. Der Fahrer hatte ihm irgendwas hinterhergeschrien, was ich nicht verstehen konnte, bevor er die Türen schloss und abfuhr. Kevin beachtete den Busfahrer gar nicht, und als er uns anrücken sah, wirkte er kein bisschen überrascht. Aus seinem gleichgültigen Gesichtsausdruck – gesenkte Lider und eine gelangweilte, unbewegte Miene – hätte man schließen können, er erwartete uns. Ich überließ Rick die Begrüßungsarie.
»Yo, äh, Kevin, Mann … das ist meine Freundin Elizabeth. Yo, äh, das bringt’s echt, wir wollten was über deinen Job wissen.«
»Ihr wollt ein bisschen Geld verdienen?«, fragte er mit einem Lächeln, das sich über sein ganzes Gesicht ausbreitete. Rick und Danny zuckten halb mit den Schultern, halb nickten sie dazu.
»Yeah«, sprang ich sofort ein, »ganz genau. Zeigst du mir, wo das abgeht?« Ich hatte das Gefühl, als würde sich Säure durch meinen Magen fressen. »Ich arbeite überall«, sagte ich ihm. »Sollen wir gleich los?«
Kevin brachte uns bei, wie man ungesehen in den Bus springt. Wir warteten etwas abseits, ungefähr einen Meter von der Hintertür entfernt, um den Fahrer nicht misstrauisch zu machen. Dann stürmten wir hinein, wenn die Passagiere hinten an der Haltestelle ausstiegen und uns so außer Sicht brachten. Unser Ziel,
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