Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
Vom Netzwerk:
Zapfsäulen, würde ich wahrscheinlich nicht mit leeren Händen nach Hause gehen müssen, wenn ich es auf einen weiteren Versuch ankommen ließ.
    Ich beschloss, bis in den frühen Nachmittag hinein zu arbeiten und bis kurz nach der Mittagspause Benzin zu zapfen. Dann wollte ich mich auf den Rückweg machen, den Hügel hinauf bis zum Grand Concourse, denn da lag noch mal eine ganze Geschäftsstraße vor mir, in der ich mein Glück versuchen konnte.
    Abgesehen von meinen ständigen Blicken über die Schulter, um die Tankstellenarbeiter im Auge zu behalten, verliefen die ersten beiden Stunden an den Zapfsäulen ruhig. Der Verkehr frühmorgens aus Richtung Bronx Zoo spülte einen Schwall Familienkutschen an die Tankstelle. Ich raste von einem Van zum nächsten Kombi, alle vollgepackt mit Familien. Babys schrien, Erwachsene zählten Geld ab, Kinder in meinem Alter zankten sich auf dem Rücksitz und sahen mich neugierig an. Aus den Fenstern stieg mir der Geruch nach vollen Windeln und Fast Food in die Nase.
    Das Trinkgeld, alles in Münzen, schwappte beim Rennen gegen meine Oberschenkel. Ich schlängelte mich zwischen den Zapfsäulen hindurch, um schnell bei den Leuten zu sein. Einen Kunden zu verpassen bedeutete Umsatzverlust, deshalb vergeudete ich keine Zeit. Schon bald ergötzte ich mich daran, wie ich mir alles bei McDonald’s würde leisten können. Als ein Bus vorbeifuhr, dachte ich, ich könnte sogar richtig weit weggehen, wenn mir danach war. Solange ich in der Lage war zu arbeiten, begann ich mich langsam so zu fühlen, als müsse ich nie wieder irgendwo aussichtslos irgendetwas aushalten.
    Mir standen Möglichkeiten offen. Meine Hochstimmung des Vortages war wieder da, und ich sprang vor und zurück, von einem Kunden zum nächsten, ich mästete meine Hosentaschen, und ich vergaß die Zeit und die Angestellten der Tankstelle.
    Um ein Uhr mittags hatte ich fast so viel Geld verdient wie gestern
während einer ganzen Tagesschicht, aber ich war dreimal von der Tankstelle gejagt worden. Beim letzten Mal, als ein Tankstellenarbeiter mich von hinten am T-Shirt gepackt und mir lautstark gedroht hatte, er würde mich verhaften lassen, hatte ich den Entschluss gefasst, nicht mehr zurückzukehren. Er hatte versucht, mich mit in die Kabine zu zerren, aber ich schlug wild um mich, befreite mich aus seinem Griff und entkam. Ich rannte, so schnell ich konnte, davon und blendete seine Beschimpfungen mit wachsender Distanz aus.
    Auf einer Bank am Fuß des Hügels ruhte ich mich aus, um wieder zu Atem zu kommen, und zählte mein Trinkgeld: sechsundzwanzig Dollar. Meine Haut war durch das stundenlange Stehen in der Sonne dunkelrot und empfindlich geworden. Ich stopfte das Geld zurück in meine Taschen und trat meinen Marsch den Grand Concourse hinauf an, schob mich durch die Menschenmengen, deren schwere Einkaufstaschen schmerzhaft gegen meine sonnenverbrannten Arme schlugen. Feuchtwarme Schweißflecken unter den Armen und am Rücken ließen mein T-Shirt klamm werden und fühlten sich dann jedes Mal eiskalt an, wenn ich erneut ein klimatisiertes Geschäft betrat, um wieder und wieder dieselbe Frage zu stellen.
    Im Verlauf des Nachmittags stellte sich heraus, dass es um mein Glück, auf dem Grand Concourse einen Job zu finden, nicht besser bestellt war. Ich konnte nicht eine einzige Person auftreiben, die meine Anfrage ernst nahm. Schließlich machte ich mich auf den Heimweg und dachte währenddessen über einen anderen möglichen Standort für meine Jobsuche nach, vielleicht in der Nähe der Kingsbridge Avenue oder jenseits der Brücke auf der Dyckman Street. Aber die Zweifel mehrten sich.
    Ich ging durch die Automatiktüren des Met-Food-Supermarktes, der vier Blocks von zu Hause weg war, in die klimatisierte Kühle. Im Stehlen war ich gut, das wusste ich. Ich würde eine Packung Steaks und Butter mitnehmen. Die Lebensmittel konnte ich mir durchaus von meinem Trinkgeld leisten, aber ich wollte
nichts von meinem Besitz ausgeben, bevor ich nicht eine beständige Einkommensquelle hatte. Bis es so weit war, musste ich mich mit dem Stehlen abfinden, und nachdem ich es schon so oft mit Rick und Danny gemacht hatte, war ich mir sicher, nicht dabei erwischt zu werden.
    Im Supermarkt waren jede Menge Abendeinkäufer, was mich noch zuversichtlicher machte, unbemerkt hinein- und wieder hinauszuschlüpfen. Die Kunden standen in langen, gewundenen Schlangen an, und Regalauffüller in weißen, mit Blutflecken versehenen Kitteln schlängelten

Weitere Kostenlose Bücher