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Als der Tag begann

Als der Tag begann

Titel: Als der Tag begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L Murray
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mit Kevin zusammen, und danach wechselten wir nie wieder ein Wort. Aber etwas an dieser kurzen Begegnung mit ihm vermittelte mir das Gefühl, dass ich meine Situation
verändern konnte. Obwohl er kein Freund von mir war, bewunderte ich, wie Kevin einen Weg gefunden hatte, selbst etwas zu unternehmen, wie er die Tatsache, kein Geld zu haben – eine Situation, die die meisten Leute als unabänderlich hinnahmen –, als etwas betrachtete, das er bezwingen konnte. Was war sonst nicht in Stein gemeißelt? Ich fragte mich, was da draußen wohl noch für Möglichkeiten auf mich warteten.
    Auf der Fordham Road glitzerten die Geschäfte im Dunkel der Nacht. Durch das Busfenster sah ich einkaufende Menschen hinein- und hinausströmen, ihre Taschen mit den neu erstandenen Dingen fest in der Hand. Ich überschlug im Geist, wie oft ich im Bus mit Ma an dieser Tankstelle vorbeigefahren war, ohne je daran zu denken, dass es dort eine Chance für mich gab, etwas gegen meinen Hunger zu unternehmen. Jetzt, als ich an diesen Geschäften vorbeifuhr, fragte ich mich, was ich sonst noch alles nicht gesehen hatte. Bestimmt gab es in jedem Geschäft einen Manager, der einstellen konnte, wen er wollte. Mir war schon klar, dass ich mit neun Jahren nicht alt genug war, um offiziell angestellt zu werden, aber vielleicht hätten ja ein paar Bosse mit ein bisschen Überredungskunst nichts dagegen, wenn ich gegen ein kleines Trinkgeld ihre Böden wischte oder im Lager putzte. Vielleicht mussten wir doch nicht die ganze Zeit ohne Lebensmittel auskommen, selbst wenn der Scheck aufgebraucht war. In einem dieser vielen Geschäfte, dachte ich, müsste ich doch irgendwo unterkommen.
    Auf der Fahrt durch die Fordham Road ließ ich mich schwer in meinen Sitz zurückfallen, meine Erschöpfung ließ mich zur Ruhe kommen. Wechselgeld beschwerte meine Taschen und drückte sich in den Shorts gegen meine Oberschenkel – mehr als genug für chinesisches Essen für Lisa, Daddy und mich. Ich plante bereits meinen morgigen Tag. Den Kopf an die Scheibe gelehnt, machte ich ein leichtes, unbeschwertes Nickerchen, versüßt durch den ungewohnten Gedanken, schließlich doch Einfluss auf das zu haben, was mit uns geschah.

    Am nächsten Morgen klapperte ich die gesamte Fordham Road rauf und runter nach Arbeit ab. Die restlichen zwanzig Dollar von meinem verdienten Geld hatte ich in meinem Zimmer versteckt. Durch die Jagd der Tankstellenbediensteten auf mich konnte das nie ein richtiger Job werden; ich wollte eine verlässliche, beständige Arbeit. Ich betrat jedes Geschäft und wollte einen Angestellten sprechen; dabei versuchte ich, so ernst und verantwortungsbewusst wie nur möglich zu wirken. Aber egal, wie sehr ich mich auch anstrengte, es gelang mir nicht, eine einzige Person davon zu überzeugen, mich für voll zu nehmen.
    » Du willst einen Job? Erkundigst du dich für jemand anderen, oder suchst tatsächlich du Arbeit?« Obwohl ich alle Anstrengungen unternahm, mich klar auszudrücken – »Ja, ich hatte gehofft, Sie hätten etwas für mich«; »Es muss kein toller Job sein oder so, vielleicht brauchen Sie ja jemanden zum Bodenwischen« –, fielen die Antworten bei Alexander’s, bei Tony’s Pizza und Woolworth alle gleich aus. Niemand wollte sich lange mit mir aufhalten. Manche lachten sogar geradeheraus los.
    »Du musst mindestens vierzehn Jahre alt sein, Kleine. Wie alt bist du – zehn?« Eine Frau beugte sich über den Verkaufstresen zu mir herab und tätschelte mir lächelnd den Kopf, wobei eine dicke Goldkette zwischen ihren kaffeefarbenen Brüsten baumelte. Es folgte das Gelächter des gesamten Kassenpersonals. Ich stapfte beschämt und zutiefst frustriert von dannen. Ich wusste, dass ich arbeiten konnte, wenn man mich nur gewähren ließe; doch je öfter ich abgewiesen wurde, desto beschämter wurde ich. Mir fielen meine verfilzten Haare, meine dreckigen, kaputten Sneakers und der Schmutzrand unter meinen Fingernägeln auf. Das gestrige Hochgefühl begann fast töricht auf mich zu wirken.
    Ich ging die Fordham Road so weit hinunter – eine Ablehnung folgte der nächsten –, dass ich schließlich am Rand des Einkaufsgebiets landete, genau auf dem Weg zurück zur Tankstelle. Ich hatte wegen des Katz- und Mausspiels mit den Tankstellenleuten eigentlich nicht vorgehabt, dorthin zurückzugehen. Rick und
Danny hatten mir gestern noch mitgeteilt, dass ein Arbeitstag mehr als genug für sie gewesen sei. Wenigstens, dachte ich auf meinem Weg zu den

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