Als die erste Atombombe fiel
stand. Wir hörten das Baby hinter uns weinen, während wir zum Rathaus weitergingen. Als wir dort ankamen, lagen viele Menschen auf dem Boden. Wir suchten nach Mutter und meinem Bruder, aber wir fanden sie nicht. Enttäuscht und müde machten wir uns auf den Rückweg, da es aber gefährlich war, auf der Straße zu gehen, nahmen wir wieder den Weg über die Dächer. Wir machten einen langen Umweg, um das Feuer in der Nähe der Miyuki-Brücke zu meiden. Nach kurzer Zeit sahen wir einen Jungen, der uns entgegengestolpert kam. Es war mein Bruder. Er schien den Verstand verloren zu haben.
»Wo ist Mutter?«, fragte ich ihn.
»Ich weiß nicht«, antwortete er.
Schließlich erfuhren wir, dass sie auf Ninoshima, einer Insel südlich von Hiroshima, war, und Vater entschloss sich dorthin zu gehen. Ich blieb allein zurück mit meinem Bruder, der immer noch nicht ganz richtig im Kopf war. Wie sollte ich ganz allein für ihn sorgen? Ich ging erst in die erste Klasse. In der Nacht zündete ich eine Kerze an und hielt sie nahe an sein Gesicht. Es war geschwollen und voller Brandblasen. Er murmelte etwas, als ob er im Schlaf spräche, dann stand er plötzlich auf und rief: »Hurra! Hurra!« Vielleicht träumte er von einem Sportwettbewerb. Ich hielt ihn fest und rief immer wieder seinen Namen, aber er wollte sich nicht beruhigen. Schließlich lief ich zu unserm nächsten Nachbarn und er beruhigte meinen Bruder. Inzwischen war es so spät geworden, dass ich zu Bett ging, aber ich machte mir so große Sorgen um meine Mutter und meinen Bruder, dass ich lange nicht einschlafen konnte. Am Morgen war Vater zurück.
»Was ist mit Mama?«, fragte ich.
Er sagte nur: »Sie war tot. Sie haben ihren Leichnam auf der Insel verbrannt.«
Sie sagten, dass Mutter am ganzen Körper schwarz verbrannt war und im Laufe des Tages gestorben sei. Vater forderte mich auf, eine Schachtel zu öffnen. In der Schachtel war ihre Asche. Einen Augenblick lang war mir, als sei ich auf den Boden des Meeres gesunken. Um etwa 0.30 Uhr in derselben Nacht tat mein Bruder seinen letzten Atemzug.
Wir legten seinen Leichnam in einen Sarg und wir gaben ihm Bonbons mit in den Sarg. Am nächsten Morgen brachten wir den Sarg zur Uferböschung, aber ich wollte nicht, dass sein Körper verbrannt wurde. Warum? Weil er neun Jahre lang ein so guter Bruder gewesen war. Und als ich daran dachte, wie nett er immer zu mir gewesen war, begann ich diejenigen zu hassen, die ihm das angetan hatten. Der Sarg wurde angezündet und in dem Rauch und den Flammen sah ich die Gesichter meiner Mutter und meines Bruders erscheinen und wieder verschwinden. Ich sah Vater an. Tränen liefen ihm über die Wangen. Als wir am Abend die Asche meines Bruders holten, sagte Vater: »Toshi, deine Mutter und dein Bruder haben uns verlassen. Von jetzt an müssen wir allein weitergehen. Verstehst du mich?« Den Ausdruck in seinem Gesicht, als er das sagte, habe ich noch immer deutlich vor Augen.
Ich sagte zu mir: Ich habe nun weder Mutter noch Bruder. Ich habe nur einen Vater. Von jetzt an gibt es nur Vater und mich.
Als am nächsten Morgen der Himmel im Osten hell wurde, ging ich zur Uferböschung, wo am Tag zuvor der Leichnam meines Bruders verbrannt worden war. Erst da begriff ich wirklich, dass Mutter und mein Bruder die Erde für immer verlassen hatten.
(Abb. 10) Toshihiko Kondo ist 1970 im Alter von 31 Jahren gestorben.
(Abb. 11)
Ich verlor das Bewusstsein
Kiyotoshi Arishige
Schüler der 9. Klasse, damals 3. Klasse
Ich war damals in der dritten Klasse. Unser Haus war etwa 1,6 Kilometer vom Zentrum der Explosion entfernt, aber da es geräumt werden musste, lebten wir in einem kleinen Haus hinten im Hof. Es hieß, dass es bei Luftangriffen in den Schulen zu gefährlich sei, darum hatten wir in einem Tempel in der Nähe Unterricht.
An dem Tag, an dem die Atombombe fiel, ging ich nicht zum Tempel, weil ich irgendwie keine Lust hatte. Ich lag und las eine Zeitschrift in einem kleinen Zimmer, das nach Süden ging. Wenn ich an dem Tag zum Tempel gegangen wäre, hätten die großen Bäume mich erschlagen. Später erfuhr ich, dass viele meiner Freunde, die zum Unterricht in den Tempel gegangen waren, umgekommen sind.
Ich war also in dem kleinen Zimmer, als es geschah. Das heißt am 6. August 1945 gegen acht Uhr morgens. Auf einmal sah ich einen rosaweißen Blitz. Als Erstes dachte ich: Oh nein! Wir sind getroffen worden. Nichts wie raus. Ich rannte zum Fenster, um hinauszuklettern. Aber dann
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