Als die erste Atombombe fiel
was sie auch taten, nichts half ihm. Sein Fieber ging nicht herunter. Mutter kochte ihm einen Brei aus Reis, den sie gelagert hatte, aber er schien ihm nicht zu schmecken. Mutter und Vater waren auch verletzt und wir konnten keinen Arzt bekommen und auch keine Medikamente.
Nach etwa zehn Tagen legten wir alle zusammen meinen Bruder auf eine Tragbahre und brachten ihn zur Grundschule in Danbara, in der Nähe des Hauptbahnhofs, wo man ein Feldlazarett eingerichtet hatte. Die Klassenzimmer waren voller Leute mit schweren Verbrennungen. Sie waren mit einer weißen Salbe und Mercurochrom eingerieben worden und stöhnten und weinten und griffen in die Luft. Soldaten versorgten sie. Es roch widerlich nach scharfen Desinfektionsmitteln und Eiter. Das genügte, um einem jeglichen Appetit an den Reiskugeln zu nehmen, die verteilt wurden. Mein Bruder konnte nicht viel essen und es ging ihm immer schlechter. Seine Brandwunden wurden weich vor Eiter. Dann bekam er Durchfall. Auch meine Schwester bekam Durchfall. Und wir konnten nichts tun. Mein Bruder erhielt jeden Tag Kampfer- und Vitaminspritzen. Obwohl er so krank war, haben wir uns noch gestritten.
»Wenn ich wieder gesund bin, werde ich dich verprügeln«, schrie er mich an, aber er starb noch in derselben Nacht.
Wie furchtbar war es, bevor er starb! Sein ganzer Körper war vereitert und er hatte sogar Maden unter der Haut.
Er tat mir so Leid, besonders weil er bis zu seinem Tod glaubte, er würde wieder gesund werden. Am meisten vermisse ich ihn, wenn ich einen seiner alten Freunde treffe.
Ich hasse den Krieg. Wie schwer ist es für meine Mutter und meinen Vater gewesen. Ich bete um Frieden im Namen aller Menschen, die im Krieg gestorben sind.
(Abb. 9) Erste Hilfe im Chaos. Ein Polizist, selber am Kopf verletzt, registriert Atombombenopfer, die notdürftig medizinisch versorgt wurden.
Es war, als stöhnte die Erde
oder: Die ärztliche Hilfe kam für viele zu spät
In den ersten Stunden nach der Atomexplosion waren die Überlebenden in Hiroshima ganz auf sich allein gestellt, ohne Hilfe von außen. Was dies in einer Stadt bedeutet, deren sämtliche Funktionen von einer Minute zur anderen unterbrochen waren, kann außer den Zeugen wohl kaum jemand ermessen. Eine Hölle eigener Art tat sich auf, in welcher sich viele nichts sehnlicher wünschten, als ebenfalls bald zu sterben, um von den entsetzlichen Qualen erlöst zu werden. Da alle Voraussetzungen zur Hilfeleistung fehlten und niemand Erfahrungen mit einer Katastrophe solchen Ausmaßes besaß, liefen die ersten Rettungs- und Bergungsversuche erst ganz allmählich an.
Der deutsche Arzt Dr. Otfried Messerschmidt, Spezialist für Strahlenkrankheiten, hat 1957 und 1958 mit einigen anderen Medizinern aus der Bundesrepublik in japanischen Krankenhäusern und Instituten gearbeitet und seine Erfahrungen in dem Buch Auswirkungen atomarer Detonation auf den Menschen zusammengefasst. Über die katastrophale Lage unmittelbar nach der Explosion bemerkt er:
»Starben die Menschen nicht schon in den ersten Stunden, so gingen sie doch in wenigen Tagen zugrunde, weil durch die tief greifende Zerstörung der Stadt auch das gesamte Versorgungswesen zusammengebrochen war. Es gab kein Wasser und keinen Strom, keine ausreichende Ernährung, keine Medikamente, kaum Ärzte, da diese bis auf wenige umgekommen oder schwer verletzt waren. So starben viele Menschen, die sonst zu retten gewesen wären, daran, dass ihre Wunden nicht behandelt wurden, keine Verbände gewechselt wurden, notwendigste ärztliche Eingriffe unterblieben. Viele hatten keine Decken und erst recht kein Bett, sondern lagen auf den Fußböden irgendeines Notlazaretts, einer Schule oder eines Tempels. Die Pflege bestand oft nur darin, Durst und Hunger mit Tee und Reis zu stillen und die Exkremente wegzuräumen. Diese trostlosen Zustände, zu denen noch epidemische Darmerkrankungen hinzukamen, trafen eine in vier schweren Kriegsjahren unterernährte und ausgemergelte Bevölkerung.«
Insgesamt 18 Nothospitäler und 32 Erste-Hilfe-Kliniken in Hiroshima waren zerstört worden; fast 90 Prozent des gesamten medizinischen Personals kam ums Leben oder war schwer verletzt.
Am Tag nach der Explosion setzten sich von den Kasernen und Stützpunkten in der weiteren Umgebung der Stadt die ersten Bergungstrupps in Bewegung. In Schulen und Luftschutzunterständen richteten sie Erste-Hilfe-Stationen ein. Nur eine Hand voll Ärzte und medizinische Helfer sollten die Wunden von
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