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Als die erste Atombombe fiel

Als die erste Atombombe fiel

Titel: Als die erste Atombombe fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ravensburger
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den Hinterbliebenen. Ich war damals selbst in einem jämmerlichen Zustand. Obwohl ich endlich wieder zur Schule gehen konnte, gab es ringsumher Dinge, die mich immer wieder an meine toten Lehrer und Freundinnen erinnerten. Ich meinte, das Herz müsse mir brechen, wenn ich an sie dachte.
    An jedem 6. August gehe ich zum Evakuierungsgebiet in Zakoba-cho und am buddhistischen Allerseelentag besuche ich die Familien von vier oder fünf früheren Mitschülerinnen. Das ist jedes Mal sehr schmerzlich für mich.
    Seit dem Abwurf der Atombombe reagiere ich sehr empfindlich auf Wetteränderungen und leide, wenn es sehr heiß oder sehr kalt ist. Oft bin ich krank, und manchmal wünsche ich mir, ich wäre mit all den anderen zusammen gestorben. Meine Mutter weint, wenn ich in dieser Verfassung bin. Ich kriege Spritzen, die mich von meinen Ängsten befreien sollen. Manchmal mache ich mir Mut mit dem Gedanken, dass die Seelen der über vierzig Freundinnen, die starben, mich beschützen. Wenn es mir besser geht, schäme ich mich, dass ich nicht mehr geschafft habe in diesem Leben, das ich fortführen durfte. Mehr als alles andere ist mir klar, dass ich entschlossen sein und hart arbeiten muss, um meiner vierzig Mitschülerinnen würdig zu sein.

    (Abb. 16) Ein Foto als Erinnerung: Setsuko Sakamoto starb 1969 im Alter von 39 Jahren.



Atombombenopfer zweiter Klasse
    oder: Um die Koreaner kümmerte sich niemand
    Koreaner werden in den Berichten der »Kinder von Hiroshima« nur selten erwähnt. Das ist verständlich; jeder hatte genug mit sich selber zu tun, suchte zuerst nach den eigenen Angehörigen. Aber damals lebten viele Koreaner in Japan, besonders auch in der Industrie- und Hafenstadt Hiroshima. Korea war seit 1905 japanische Provinz. Viele Bewohner der Halbinsel wurden während des Krieges als Zwangsarbeiter nach Japan geholt, wo sie in den Rüstungsbetrieben Schwerarbeit leisteten oder beim Straßen- und Kanalbau eingesetzt wurden. Sie fristeten ein Sklavendasein, ohne ausreichenden Lohn, ohne menschenwürdige Wohnungen, ohne rechtlichen Schutz vor der Willkür ihrer japanischen Herren. Außerdem wurden koreanische Mädchen und Frauen aus den Häusern und von der Straße geholt und als Zwangsprostituierte für die Soldaten der kaiserlichen Armee an die Front verschleppt.
    In Hiroshima teilten sich die Koreaner die Wohnbezirke mit einer anderen Unterschicht, nämlich den Burakumin, die schon seit Jahrhunderten von der übrigen Gesellschaft ausgegrenzt und ebenfalls diskriminiert wurden. Zusammen mit den Burakumin lebten sie in Bezirken wie Hirosemachi, Nakahiro, Fukushimacho und Kanno-cho, die zwischen 1,5 und 2,5 Kilometer vom Zentrum der Atomexplosion entfernt lagen, und zwar nicht in Einzelhäusern, sondern in zusammenhängenden Barackensiedlungen. Das erklärt, weshalb besonders viele Koreaner Atombombenopfer wurden. Allein im Stadtbezirk von Hiroshima wohnten gegen Ende des Krieges schätzungsweise 53000 Koreaner; eine exakte Registrierung der Arbeitssklaven hielten die japanischen Behörden damals nicht für erforderlich. Etwa 48000 Koreaner wurden Strahlenopfer, davon starben 30000.
    Auch als überlebende Atombombenopfer blieben die Koreaner Menschen zweiter Klasse. Rund 30 Jahre lang hat sich kaum jemand um sie gekümmert, waren sie auf sich allein gestellt. Im Jahre 1975 gründeten sie schließlich eine Selbsthilfe-Organisation, um endlich zu ihrem Recht zu kommen. Einer ihrer Sprecher ist Silgun Ri, ein unerschrockener Mann, der zusammen mit seiner Frau ein Restaurant in Hiroshima betreibt und sich ansonsten mit den Behörden herumschlägt, um für seine Landsleute etwas an materieller Unterstützung herauszuholen.
    Die Schilderung von Silgun Ri über sein Bemühen ist eine einzige Anklage gegen die Willkürpraxis japanischer Ämter und der japanischen Regierung. Um das Genbaku Hibakusha kenko Techo, die offizielle Bestätigung für die Anerkennung als Atombombenopfer, zu bekommen, braucht der Betreffende zwei Bürgen. Bei Koreanern genügt es jedoch nicht, Koreaner als Zeugen dafür anzugeben, dass sie sich zum Zeitpunkt der Explosion in einem bestimmten Umkreis um das Epizentrum aufgehalten haben; vielmehr müssen sie Japaner benennen, weil Koreaner angeblich unglaubwürdig sind!
    Silgun Ri schildert das Beispiel einer Koreanerin, die bei der Detonation der Bombe von einem Haus erdrückt worden ist, seitdem nicht mehr richtig laufen kann und als Opfer anerkannt werden wollte. Weil sie weder lesen noch

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