Als die erste Atombombe fiel
Rhythmus zu bleiben. Gegen acht Uhr hörten wir das typische Dröhnen einer B-29 in der Ferne.
Unser Lehrer rief: »B-29! B-29!«
Wir blickten zum Himmel, und plötzlich gab es einen gewaltigen Blitzstrahl. Einen Moment lang waren wir geblendet und betäubt. Als ich wieder zu mir kam, war alles dunkel. Rote Flammen loderten zum Himmel und wurden immer größer. Die Gesichter meiner Freundinnen, mit denen zusammen ich vor Minuten noch so fleißig gearbeitet hatte, waren verbrannt und voller Blasen und ihre Kleider hingen in Fetzen herunter. Sie wanderten umher, zitternd, wie verängstigte Küken. Unser Lehrer versammelte uns um sich wie eine besorgte Henne. Einige meiner Mitschülerinnen versuchten, ihre Gesichter unter seinen Armen zu verbergen. Das Haar unseres Lehrers war auf einmal weiß, und er schien viel größer geworden zu sein. Ich schrie ihn immer wieder an: »Ich bin’s, Sakamoto!«
Nach dem dritten Mal erkannte er mich und nickte. Obwohl ich schon lange in Hiroshima lebte, kannte ich mich in der Innenstadt nicht aus. Ich wollte deshalb bei meinem Lehrer bleiben, was auch geschehen mochte. Aber innerhalb von zehn Minuten befand ich mich allein unter Fremden. Ich war ganz benommen, als ich meine Freundinnen rufen hörte, und ich ging zu ihnen. Einigen liefen Tränen über ihre verbrannten Gesichter, andere riefen nach ihren Eltern. Wir fassten uns an den verbrannten Händen und machten uns auf die Suche nach unserem Lehrer.
Und dann sprangen wir plötzlich über Grabsteine, um dem Feuer zu entfliehen. Die Kiefern um uns herum gingen prasselnd in Flammen auf, und es sah aus, als säßen wir in der Falle. Wir wussten nicht, wohin wir uns wenden sollten. Wir folgten einfach den anderen Menschen, die sich einen Weg fort aus den Flammen suchten. Kinder schrien nach ihren Müttern, und Mütter versuchten, ihre Kinder zu finden. Leute mit Verbrennungen sprangen in die Wasserbehälter, um der Hitze zu entgehen. Wir hatten alle die Farbe von Blut angenommen. Ich war mit einem anderen Mädchen zusammen. Wir waren mit der Menge mitgelaufen, aber aus irgendeinem Grund wandten wir uns in die entgegengesetzte Richtung. Wir liefen an der Uferböschung entlang, bis wir an eine kleine Steinbrücke kamen. Es war die Fujimi-Brücke. Alle Läden und Bäume, die bis zu diesem Morgen beide Seiten der Straße zur Brücke gesäumt hatten, waren bis auf den Boden abgebrannt. Leitungsmasten waren umgestürzt und die elektrischen Drähte lagen auf dem Boden. Neben den Leitungen lag ein Baby, die kleinen hübschen Hände zu Fäusten geballt, die Augen geschlossen. »Hölle auf Erden« ist der einzige Ausdruck, das alles zu beschreiben. Meine Freundin wurde verrückt vor Schmerzen von den Verbrennungen und vor Durst. Als wir die Hijiyama-Brücke erreicht hatten, nahm ich sie auf meinen Rücken und wir machten uns auf die Suche nach der nächsten Erste-Hilfe-Station. Es war gerade Mittag, als wir den Fuß des Hijiyama erreichten. Viele Menschen lagen dort im Schatten der Bäume. Sie waren so schlimm verletzt, dass ich nicht hinsehen konnte.
Während wir noch dort standen und nicht wussten, was wir tun sollten, hörten wir Rufe: »Feindliches Flugzeug kommt näher! Sucht Deckung in den Hügeln!« Wir krabbelten voll Verzweiflung einen steilen Damm hinauf und versteckten uns im Bambus. Mir war plötzlich übel und ich erbrach eine Menge dickes gelbes Zeug. Dann schlief ich allmählich ein.
Eine Stimme fragte: »Kranke oder Verletzte hier?«, und ich erwachte. Ich stellte fest, dass wir beide in einen Luftschutzunterstand beim Materialdepot getragen worden waren und dass man sich um uns kümmerte. Als ich von diesem Platz auf dem Hügel hinausblickte und all die zerstörten Häuser sah, musste ich an unser leeres Haus denken. Wenig später trafen wir zufällig eine Nachbarin meiner Freundin, die veranlasste, dass meine Freundin auf einer Tragbahre davongetragen wurde. Wir verabschiedeten uns. Es wurde dunkel, als ich zu unserem Haus kam. Es war so beschädigt, dass man nicht mehr darin wohnen konnte.
Unsere beiden Lehrer, die uns trotz ihrer eigenen schweren Verletzungen so selbstlos geholfen hatten, starben durch die Atombombe, und meine vierzig Mitschülerinnen starben eine nach der anderen. Wer außer Gott hatte ahnen können, dass jener Morgen unser letzter gemeinsamer Morgen sein würde. Am 29. August besuchte ich die Familie der Freundin, mit der ich geflüchtet war, und unterhielt mich unter Tränen zwei Stunden lang mit
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