Als die erste Atombombe fiel
lassen. Als wir am nächsten Tag wieder hinkamen, waren alle Schüler gestorben.
Obwohl wir fünf Tage lang jeden Tag nach meiner Schwester gesucht hatten, konnten wir sie nicht finden. Ich dachte jedes Mal, wenn ich Schritte vor der Tür hörte, sie sei zurückgekehrt. Wir ließen die Tür immer offen, damit sie hereinkommen konnte, aber es war sinnlos. Ich musste wieder aufs Land, wohin ich vorher evakuiert worden war.
Die Tage vergingen, und am 15. August kapitulierte Japan. Krieg. Krieg. Jedes Mal, wenn ich dieses Wort sehe, erinnere ich mich an die Worte meiner Schwester. Sie standen in einem Brief, den sie mir geschrieben hatte, als ich aus der Stadt evakuiert worden war.
»Lieber Susumu,
du musst dich dort sehr einsam fühlen, so ganz allein. Wir fühlen uns auch einsam ohne dich. Aber wenn der Krieg zu Ende ist, werden wir wieder alle zusammenleben …«
Ich kehrte nach Hiroshima zurück, aber meine Schwester war nicht mehr da, die mich immer mit den Worten »Bist du es, Susumu?« begrüßt hatte, wenn ich das Haus betrat.
(Abb. 15)
Ein Seufzer kam aus der Wunde
Eiko Matsunaga
Schülerin der 11. Klasse, damals 5. Klasse
Ich war beim Frühstücken und saß Mutter gegenüber. Ich aß gerade Reis und hielt die Reisschale in der linken, meine Essstäbchen in der rechten Hand, als ich ein grelles Licht direkt vor mir sah und ein unbeschreibliches orangefarbenes Licht ins Zimmer drang. Ich stopfte mir den Reis in den Mund, ohne nachzudenken, stellte Reisschale und Essstäbchen ab und lief vier oder fünf Schritte. Was danach geschah, weiß ich nicht, weil ich bewusstlos wurde. Es muss zehn oder fünfzehn Minuten später gewesen sein, als ich wieder zu mir kam. Ich öffnete die Augen, aber ich konnte nichts sehen, weil das Zimmer voll von weißem Rauch war. Ich war hingefallen und versuchte aufzustehen und fiel wieder hin. Dann wurde mein Kopf klarer. Als ich auf meine Füße hinunterblickte, stellte ich fest, dass der rechte Fuß bis zum Knöchel feststeckte. Ich war so erschrocken, dass ich gar keine Kraft mehr hatte. Mir kam nicht einmal der Gedanke, dass ich versuchen könnte, die Bretter mit meinen Händen wegzureißen. Ich stemmte mich mit dem linken Fuß kräftig ab und versuchte mit aller Gewalt, den rechten herauszuziehen. Plötzlich war mein Fuß frei. Wo war ich? Was war mit mir geschehen? Der ganze Raum war voll von weißem Rauch. Was um alles auf der Welt war geschehen?
Eine Brandbombe! Das kam mir plötzlich in den Sinn. Ich befand mich genau zwischen dem Esszimmer und dem Wohnzimmer. Im Wohnzimmer stand ein Bücherschrank, etwa viereinhalb Meter hoch, 75 Zentimeter tief und vier Meter lang, und ich stand neben diesem Bücherschrank.
Als ich mich noch einmal umsah, kam es mir so vor, als würde der weiße Rauch allmählich dünner. Zwei, drei, fünf, sieben Minuten vergingen, und die Hochsommersonne schien mir direkt in die Augen. Mir wurde schwindlig und ich verlor wieder das Bewusstsein. Nach einiger Zeit stand ich benommen auf und hörte meinen Bruder nach mir rufen: »Eiko-chan! Eikochan!«
In dem Augenblick hatte ich das Gefühl, ich hörte meinen Namen zum ersten Mal in meinem Leben.
»Ja«, antwortete ich.
»Beweg dich nicht von der Stelle«, sagte er.
Ich schaute über meine Schulter und sah, dass unser Haus eine flach gedrückte Ruine war, und von hinten drohten Wellen von wirbelnden Flammen, die sich jeden Moment auf uns stürzen konnten. Zwei oder drei Minuten später hörte ich plötzlich die Stimme meiner Schwester rufen: »Kann mir jemand helfen, kann bitte jemand kommen und mir helfen!« Ich erschrak und sah mich nach ihr um, aber ich konnte sie nirgends entdecken.
Dann sagte mein Bruder: »Warte einen Moment, ich hole dich raus!«, und beugte sich hinunter. Sein Gesicht war rot von Blut, das hinuntertropfte. Es lief ihm in die Augen und machte ihn blind, und er konnte nichts sehen, als er versuchte die Bretter über meiner Schwester wegzuziehen, und er musste es immer wieder mit der rechten Hand wegwischen.
Mein Vater! Ich konnte doch nicht einfach dort stehen bleiben. Aber ich wusste nicht, wo mein Vater war. Ich hatte Angst und zitterte. Mein Bruder hatte es endlich geschafft, meine Schwester herauszuzerren. Es war meine eigene Schwester, aber ihr Anblick war entsetzlich. Ihr dunkles Haar, das bis auf die Schultern reichte, war jetzt schneeweiß. Neben ihrem Mund war eine halbmondförmige, klaffende Wunde, durch die man das Zahnfleisch sehen konnte und aus der
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