Als die schwarzen Feen kamen
erwiderte den Blick, und völlig unerwartet überschwemmte sie eine Welle des Mitleids. Sie wollte das Wesen in den Arm nehmen. Die unzähligen Wunden streicheln, damit sie heilten, und der gequälten Kreatur etwas von ihrer Einsamkeit nehmen. Am liebsten hätte sie selbst geweint. So saß sie da, das Bild in den Händen, während vor dem Fenster die Dämmerung herabfiel und den Raum in Dunkelheit tauchte. Aber Marie wollte die Lampe nicht einschalten.
Sie konnte das Bild auch ohne Licht sehen.
Als lange nach Einbruch der Dunkelheit Schritte auf der alten Holztreppe ertönten, saß Marie noch immer auf dem Fußboden und hielt das Bild der Bestie fest in der Hand. Flüchtig streifte sie der Gedanke, dass sie es hätte zurücklegen sollen, dass es noch nicht zu spät war, zu verbergen, was sie getan hatte. Aber sie rührte sich nicht. Sie wollte nicht. Sie wollte, dass Gabriel wusste, dass sie seine Schattenseite gesehen hatte. Sie wollte, dass er wusste, dass sie ihn endlich verstand. Auch wenn ihr Magen sich bei dem Gedanken vor Aufregung umdrehte.
Ein Schwall kühler Luft drang in die Wohnung, als die Tür sich fast geräuschlos öffnete.
» Marie?« Gabriels Stimme war leise, als fürchtete er, sie zu wecken, wenn er zu laut sprach.
» Ich bin hier«, murmelte Marie.
Sie hörte Gabriel überrascht Atem holen. » Warum sitzt du denn im Dunkeln?«
Marie gab keine Antwort. Ein Schalter klickte, und das gedämpfte Licht der Papierlampe erhellte den Raum. Reglos blieb Marie sitzen, die Finger noch immer so fest um den Rahmen der Leinwand verkrampft, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie starrte auf das Monster auf dem Bild, das sie noch immer mit diesen unendlich verzweifelten Augen ansah. Was würde Gabriel sagen? Ihr Herz klopfte wie wild.
Sekundenlang geschah gar nichts. Dann hörte sie, wie Gabriel die Schuhe abstreifte, mit ungewohnt schweren Schritten das Zimmer durchquerte und seinen Mantel auf das Sofa warf. Schließlich setzte er sich im Schneidersitz vor sie auf den Fußboden, griff danach und wand es sanft, aber bestimmt aus Maries Fingern. Eine ganze Weile betrachtete er das Bild, bevor er es schweigend zur Seite legte, die bemalte Fläche nach unten gedreht.
Unsicher sah Marie auf. » Tut mir leid«, sagte sie, aber es klang nicht so fest, wie sie gehofft hatte. Ein Teil von ihr wollte ihn noch immer drängen, ihr endlich etwas über seinen Schatten und seine Vergangenheit zu erzählen, da sie seine wahre Gestalt ja nun sowieso kannte. Und gleichzeitig wurde ihr klar, dass sie es nicht konnte. » Ich… ich wollte es so gern wissen.«
Gabriel starrte eine ganze Weile wortlos ins Leere, wo zuvor noch das Bild gewesen war. Seinem Gesicht war nicht abzulesen, was er dachte.
» Du weißt doch auch, wie mein Schatten aussieht…« Maries Stimme versagte. Sie fühlte sich furchtbar schlecht. Gabriels Schweigen war schlimmer, als jeder zornige Vorwurf es hätte sein können. War es denn so falsch gewesen, was sie getan hatte? Vielleicht. Immerhin war es in etwa so, als hätte sie ohne seine Erlaubnis in seinem Tagebuch gelesen, nur weil es zufällig offen herumgelegen hatte.
Endlich hob Gabriel den Kopf und sah ihr in die Augen. Seine Miene war angespannt und verschlossen. » Ist schon gut«, sagte er. Seine Stimme klang noch immer ruhig, aber gleichzeitig seltsam distanziert, als würde er sich von Marie zurückziehen, noch während er dicht vor ihr saß. Es fühlte sich fast schmerzhaft an. Sie wollte nicht, dass er sich von ihr entfernte. Aber wie sollte sie ihm das sagen?
Gabriel schloss kurz die Augen, als müsste er sich konzentrieren. Als er sie wieder öffnete, war sein Blick wieder wärmer, persönlicher– aber zugleich auch viel trauriger. » Vielleicht verstehst du mich jetzt besser.«
Marie öffnete den Mund, um etwas zu sagen– aber sie wusste nicht was. Sie schluckte trocken und wich seinem Blick aus, sah an ihm vorbei in das orange Zwielicht hinter ihm. Sie hatte ihm Unrecht getan. So schrecklich Unrecht.
In diesem Augenblick fiel mit einem leisen Platschen ein schwarzer Tropfen auf Gabriels Hand, zischte und verflüchtigte sich in einen dünnen Rauchfaden. Eine riesige Silhouette schimmerte verschwommen im Lampenschein. Marie blinzelte erschrocken. Was war das? Halluzinierte sie jetzt etwa? Wirkten die Bilder noch so stark in ihr nach? Nein, dachte sie, als sie die Lider wieder hob. Ein Schauer überlief sie, heiß und kalt zugleich. Das war keine Einbildung– sie war
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