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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Beer
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draußen. Sie wartet, dass ich rauskomme.« Seine Stimme war zu einem Flüstern herabgesunken.
    Marie spürte, wie sich ihre Finger unwillkürlich verkrampften. Sie musste gegen den Drang ankämpfen, zum Fenster zu laufen und hinauszusehen, und sie war froh, dass Gabriels Ohren offenbar mehr hörten als ihre. Mehr als das eisige Heulen des Nachtwindes, der um den Giebel strich und an den Scheiben rüttelte. » Eine Fee? Nur… nur eine? So wie die, die ich in der Obsidianstadt gesehen habe?« Marie spürte, wie das Zittern sich bis in ihre Eingeweide fortsetzte. Eine Fee– in dieser neuen Gestalt? In der Gestalt von Gabriels Freund?
    Endlich wandte Gabriel ihr wieder das Gesicht zu. Seine Augen waren dunkel und ernst. Etwas schimmerte in ihrer Tiefe. Furcht.
    » Ja. Sie sah fast aus wie ein Mensch. So wie die, die du heute Nacht getroffen hast.« Ein erneuter Schauer schüttelte seinen Körper. Da war Schweiß auf seiner Stirn, bemerkte Marie. Und er roch nach Angst. Das kannte sie nicht von ihm, und es bewirkte, dass ihr selbst vor Furcht übel wurde.
    » Sie hat meinen Schatten verletzt«, flüsterte Gabriel. Er sah kurz über die Schulter zurück. Marie folgte seinem Blick– und da war sie wieder. Die Bestie. Ihr Umriss flimmerte hinter Gabriel im orangen Licht der Papierlampe. Ihr Rücken war gekrümmt, da sie sich in dem niedrigen Zimmer nicht voll aufrichten konnte, und ihre Konturen waren verschwommen, flimmerten und zerflossen beinahe an den Rändern. Nur eins konnte Marie deutlich erkennen: Die vier tiefen Risse an der Schulter der Kreatur, die am Abend zuvor noch nicht dort gewesen waren. Sie unterschieden sich von den Wunden, die Marie auf Gabriels Bildern gesehen hatte, denjenigen, die die Bestie sich selbst zugefügt hatte und die in ihrem flackernden Schemen kaum zu erkennen waren. Diese Risse gingen tiefer, sie schienen sich weit in die Schatten hineinzufressen. Blut tropfte heraus und hinterließ dunkle Flecken auf Gabriels Holzfußboden.
    Marie riss entsetzt die Augen auf. Die Feen konnten seinen Schatten berühren! Marie wusste noch immer nur wenig über die Bestien, aber dass man sie unter normalen Umständen nicht berühren konnte, hatte sie begriffen. Hieß das etwa, dass die Feen auch alle anderen Schattenwesen anzugreifen vermochten? Vergeblich versuchte sie, die Gesichtszüge der Bestie deutlicher zu erkennen. Ging es ihr gut? Wie sehr litt sie unter dieser Wunde? Marie konnte es nicht sagen. Trotzdem reichte der Schmerz auf Gabriels Gesicht völlig aus, um ihr zu zeigen, dass ein Schlag gegen seine Bestie auch ihn verletzte.
    Marie atmete mühsam durch und versuchte, die Panik zu bekämpfen, die in ihr aufstieg. Sie lehnte den Kopf an Gabriels Schulter und hoffte, dass die Berührung ihm und auch seinem Biest ein wenig helfen würde. Er hatte recht, dachte sie verzweifelt. Sie hatten keine Zeit mehr. Sie mussten etwas tun, sie musste etwas tun– und zwar jetzt. Auch wenn die Angst ihr schwer im Magen lag und einen bitteren Geschmack auf ihrer Zunge hinterließ, hatte Marie nun endlich eine vage Vorstellung davon, welchen Weg sie dazu gehen musste: Sie würde ihrem Spiegelbild noch einmal gegenübertreten müssen. Lea war der Schlüssel. Sie musste das Tor schließen, nur sie konnte es. Schließlich hatte sie es auch geöffnet.
    Kühle Fingerspitzen berührten ihre Wange. Marie zuckte zusammen und richtete sich auf. Gabriel musterte sie aufmerksam. Die harten Linien, die der Schmerz in seine Haut gegraben hatte, hatten sich ein wenig geglättet, und Marie konnte an seinem Blick sehen, dass er sich große Vorwürfe machte, sie in der Wohnung zurückgelassen zu haben– trotz seiner Angst um Henrik. Die Bestie war weiter verblasst und kaum mehr sichtbar, abgesehen von dem Blut, das noch immer auf die Holzdielen tropfte. » Aber jetzt erzähl– was war mit dir?«
    Erst jetzt wurde Marie bewusst, dass ihr Atem unnatürlich schnell und flach ging und dass ihr davon allmählich ein wenig schwindelig wurde. Sie schluckte und versuchte, sich aus dem Knäuel aus Vermutungen und plötzlichen Erkenntnissen zu befreien, in das sie sich verstrickt hatte. Sie musste Gabriel von dem Gespräch und dem Spiegel erzählen. Aber ihre Gedanken liefen so wirr durcheinander, dass sie selbst ihnen kaum folgen konnte.
    » Sie war die ganze Zeit dort drüben…«, murmelte sie schließlich, weil sie nicht wusste, wo sie sonst anfangen sollte. » Ganz allein.«
    Gabriels Augen weiteten sich überrascht.

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