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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Beer
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Verständnislos sah er sie an. » Allein? Wer?«
    Marie bemühte sich, ruhig durchzuatmen. Trotz aller Angst ließ die aufrichtige Sorge in Gabriels Blick sie ein bisschen wärmer ums Herz werden. » Es gibt mich noch einmal. Auf der anderen Seite.« Allein der Gedanke an die Obsidianstadt ließ den Sog wieder stärker werden. Ein Schauer lief über Maries Rücken, aber sie zwang sich, ihn abzuschütteln, ihm nicht nachzugeben und sich an der Realität festzuklammern– und an Gabriels Hand.
    » Als ich die Stadt nach dem Tod meines Vaters vergessen habe, muss ich einen Teil von mir dort zurückgelassen haben. Eine zweite Marie, die in diesem Turm lebt. Sie war die ganze Zeit da, während die Stadt zugrunde gegangen ist. Ich habe sie vorhin im Spiegel gesehen. Sie sagte, sie heißt Lea. Das ist mein zweiter Vorname. So… hat mich mein Vater immer genannt…« Marie brach ab. Sie hätte nicht weitersprechen können, ohne in Tränen auszubrechen. So weit hatte es niemals kommen dürfen, dachte sie, aber sie hatte das alles doch nicht gewusst! Ansonsten hätte sie die Stadt doch nicht einfach sterben lassen– oder?
    Doch, gestand sie sich selbst, und nun drängten die Tränen nur umso stärker gegen ihre Augenlider. Sie hatte sievergessen wollen. Weil die Stadt ohne ihren Vater leer war. Weil ihr die fröhlichen Menschen, die Sonne und die Schönheit ihrer geheimen Märchenwelt nach seinem Tod falsch und unecht vorgekommen waren. Und weil das glückliche Mädchen, das im schwarzen Turm wohnte, nichts mehr mit Marie gemeinsam hatte. Zumindest hatte sie das geglaubt. Aber all diese glücklichen Gedanken zu verdrängen, das war ein furchtbarer Irrtum gewesen, das wusste sie jetzt, und sie konnte nur noch hoffen, dass es für diese Erkenntnis nicht schon zu spät war.
    Gabriel hatte ihr aufmerksam zugehört, ohne Anstalten zu machen, sie zu unterbrechen. Und auch, nachdem Marie verstummt war, schwieg er, als müsste er die Informationen erst einmal verarbeiten. Ihre Hand aber ließ er keinen einzigen Moment lang los.
    » Du meinst«, murmelte er schließlich, während er mit dem Daumen immer wieder über ihren Handrücken strich, als wollte er sie beruhigen, » dein zweites Ich auf der anderen Seite hat das Tor absichtlich geöffnet?«
    Marie presste die Lippen zusammen und nickte.
    » Ich muss noch mal mit ihr reden.« Sie wischte sich mit der freien Hand über die Augen. Die ungeweinten Tränen benetzten ihren Handrücken. Die sanfte Berührung von Gabriels Daumen ließ ein angenehmes Prickeln durch ihren Körper fließen, das ihr Kraft gab. Es war so viel geschehen in der letzten Zeit, dass sie erst begonnen hatte zu begreifen, wie sehr sie Gabriel mochte. Wie sehr sie ihn brauchte. In diesem Augenblick aber fühlte sie es ganz besonders deutlich. Es war, als würde allein dieses kleine Zeichen seiner Zuneigung ihr helfen, die Dinge besser zu verstehen und klarer zu sehen, was sie tun musste. » Die Feen haben Lea angelogen. Ich weiß nicht, was sie ihr erzählt haben, aber ich glaube, dass sie ihre Stadt retten will und denkt, dass ihr die Feen dabei helfen. Aber… das funktioniert nicht. Garantiert nicht.«
    Gabriel schüttelte langsam den Kopf. » Nein. Vermutlich nicht.« Eine Weile schwieg er und sah Marie prüfend an. » Meinst du denn, du kannst sie überzeugen?«, fragte er dann, und leiser Zweifel schwang in seiner Stimme mit. » Was, wenn sie einfach wieder den Spiegel kaputt schlägt?«
    Marie holte tief Luft. Ihre Brust schien sich vor Nervosität zu verengen, aber sie wich Gabriels Blick nicht aus. » Ich brauche keinen Spiegel. Ich habe nachgedacht, über Dr. Roth und diese Tropfen und… und egal was er will, wir können sie doch benutzen, damit ich selbst nach drüben gehen kann! Ich spreche mit Lea persönlich, dann kann sie nicht ausweichen.« Die Worte waren heraus, ehe sie darüber nachdenken konnte, wie so eine wahnwitzige Idee überhaupt in ihren Kopf gelangt war. Sie sah, wie Gabriels Augen sich überrascht weiteten. Dann leuchtete für einen Moment lang Hoffnung in ihnen auf– bevor sie schließlich von Sorge überschattet wurden.
    » Ist das dein Ernst?« Alle Empfindungen, die Marie gerade noch auf seinem Gesicht gesehen hatte, schwangen nun in seiner Stimme mit und trafen sie so direkt und unverfälscht, dass sie plötzlich das merkwürdige Gefühl hatte, direkt in seine Seele blicken zu können. Eine Seele, die schon so unglaublich viele schreckliche Dinge gesehen hatte, die die wahre

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