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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Beer
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Natur von Furcht und Hass so genau kannte. Er hatte Angst um sie, erkannte Marie. Schreckliche, ehrliche Angst. Und gleichzeitig hoffte er aus tiefstem Herzen, dass sie es tun würde.
    Sie schluckte. Jetzt, wo sie es ausgesprochen hatte, war sie sich ganz und gar nicht mehr sicher, ob sie es wirklich ernst meinte. Ob sie überhaupt mutig genug war, auch nur ernsthaft darüber nachzudenken. Denn es war ja eben nicht nur ein Traum, wenn sie hinüberging. Die Verletzungen, die die Geister ihr zugefügt hatten, sprachen eine deutliche Sprache. Wenn sie in der Obsidianstadt starb, würde sie auch hier sterben. Bei diesem Gedanken schien ein Teil von Marie in sich zusammenzufallen, wie ein Turm aus Holzklötzen, bei dem an der falschen Stelle ein Baustein entfernt worden war. Und trotzdem– Angst war keine Entschuldigung für Untätigkeit. Vielleicht war dies die Gelegenheit, all ihre Fehler wiedergutzumachen und die Menschen zu retten, die jetzt wegen ihr litten– allen voran ihre Mutter.
    » Ist es… nicht unsere einzige Chance?« Ihre Stimme klang dünn. Piepsig. Jämmerlich. Aber das war alles an Entschlossenheit, was sie für den Moment aufbringen konnte.
    Ein schwaches, fast schmerzhaftes Lächeln stahl sich auf Gabriels Gesicht. Für eine Weile sah er sie einfach nur an. Dann streckte er die Hand aus und strich ihr leicht über den Kopf, ließ ihre Haare durch seine Finger gleiten, in einer Bewegung, die ihr inzwischen fast schmerzhaft vertraut war. » Du bist ganz schön stark.«
    Bei seiner Berührung durchströmte Marie tröstliche Wärme, und plötzlich war ihr schon wieder danach, zu weinen, auch wenn sie nicht genau wusste, warum. Sie wollte ihm sagen, dass sie überhaupt nicht stark war, sondern einfach nur verzweifelt, dass sie keinen anderen Ausweg mehr sah und dass doch ohnehin alles egal war, wenn sie es nicht schaffte, Lea zu überzeugen. Aber sie brachte keine einzige Silbe über die Lippen. Ohne noch weiter darüber nachzudenken, ließ sie sich gegen ihn sinken und drückte das Gesicht gegen seine Brust. Die Wolle seines Pullovers war rau und kratzte ein wenig an ihrer Wange, aber darunter konnte sie die Wärme seiner Haut spüren. Seine sanften Finger streichelten ihren Nacken. Der weiche und zugleich ein wenig herbe Geruch, den sie in den letzten Tagen so gut kennengelernt hatte, stieg ihr in die Nase. Nein, sie war nicht stark, dachte sie, auch wenn sie wünschte, sie wäre es. Was wäre ohne Gabriels Hilfe wohl aus ihr geworden? Doch wenn sie hinüberging in die Obsidianstadt, um mit Lea zu sprechen, konnte sie ihn nicht mitnehmen. Dort würde sie ganz allein sein. Ganz auf sich gestellt. Wie sollte sie das schaffen?
    » Ich hab dich zweimal zurückgeholt«, murmelte Gabriel, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Seine Lippen streiften ihr Haar. » Und das werde ich auch wieder tun. Ich hab dir doch gesagt, ich werde dich nicht gehen lassen.«
    Marie schlang die Arme um seine Brust und hielt sich an ihm fest. Endlose Dankbarkeit durchflutete sie. Er hatte recht. Auch wenn er nicht auf der anderen Seite bei ihr sein konnte, war er trotzdem hier und würde an sie denken und den Teil von ihr bewachen, der hier in dieser Welt blieb. Er konnte und er würde sie zurückholen. Wenn nicht er, dann konnte es niemand. Sie würde ihre Mutter retten und seine Freunde– und sich selbst. Und sie musste es jetzt tun, begriff sie, jetzt sofort, bevor das bisschen Mut, das sie sich erkämpft hatte, wieder von der Angst erstickt wurde, die an ihrem Magen zerrte wie ein Geier an einem Stück Aas. Ein letztes Mal schmiegte sie sich an Gabriel.
    » Dann tue ich es jetzt gleich«, flüsterte sie tonlos. » Ich will, dass es endlich vorbei ist.«
    Sie spürte, wie sich Gabriel anspannte. Sein Arm, der um ihre Taille lag, verkrampfte sich. Dann aber ließ er sie los und schob sie ein Stück von sich fort, um ihr in die Augen zu sehen. Die goldenen Flecken leuchteten in seiner Iris. Seine Hände umfassten ihre Schultern, so hart, dass es fast schmerzte. Eine kleine Ewigkeit sah er sie einfach nur an. » Sei lieber ein bisschen zu vorsichtig als zu mutig«, sagte er endlich, und seine Stimme klang rau. » Bitte.«
    Marie nickte beklommen. Zu mutig. Wie groß war wohl die Chance, dass ein Hasenfuß wie sie zu mutig war? » Versprochen.«
    Noch einmal zog er sie an sich. Seine Lippen berührten zart ihre Stirn, dann ihre geschlossenen Lider und schließlich ihre Wangenknochen. Marie konnte seinen Atem auf ihrer Haut

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