Als die schwarzen Feen kamen
der Realität, fort aus dem Badezimmer voller Splitter, bis sie nur noch Leere war– so endlos, dass sie sich nicht einmal mehr fürchten konnte.
» Marie!«
Wie aus weiter Ferne drang die Stimme zu ihr durch. Eine Stimme, die sie kannte. Eine Stimme, die sie zurückzerrte, ihr Halt gab in dem Abgrund, in den sie hinabsank.
Ein Krachen erschütterte die Luft. Eine Tür, die gegen die Wand einer Duschkabine prallte. Der Nebel ließ sie los, zerfaserte und löste sich in dünnen Fäden auf.
» Marie…«
Nur ganz allmählich holte die Realität sie wieder ein. Langsam drehte Marie sich um und erkannte die schmale Silhouette eines Jungen im Türrahmen.
Gabriel.
Er war zurück. Der Albtraum war vorbei.
Im gleichen Augenblick, als ihr dieser Gedanke durch den Kopf schoss und das Badezimmer vor ihren Augen wieder klare Konturen annahm, gaben ihre Knie nach, und beinahe wäre sie mitten in die Scherben gestürzt– wenn nicht Gabriel zur Stelle gewesen wäre, um sie aufzufangen. Sein Mantel war noch kalt von der Winterluft, und die Spiegelsplitter knirschten unter seinen Schuhen. Er war echt. Real und wirklich hier. Mit einem trockenen Schluchzen presste Marie ihr Gesicht gegen seine Schulter, und Gabriel drückte sie an sich, so fest, dass sie beinahe glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Seine Wange lag an ihrem Haar.
» Was machst du denn?«, murmelte er, und Erleichterung schwang in seiner Stimme mit. Sein Atem streifte warm ihr Ohr. » Was ist passiert?«
Vergeblich suchte Marie nach Worten, um zu beschreiben, was sie gerade gesehen hatte. Aber sie brachte keinen klaren Gedanken zustande.
Eine kleine Ewigkeit standen sie nur so da, inmitten der Scherben, und hielten sich aneinander fest, während sich Maries Herzschlag quälend langsam wieder beruhigte.
Schließlich atmete Gabriel tief durch und festigte den Griff um ihre Taille. » Na komm«, sagte er. » Du schneidest dich noch.« Als würde sie gar nichts wiegen, hob er sie hoch und trug sie zurück ins Wohnzimmer, wo er sie auf dem Sofa absetzte. Dann kehrte er noch einmal zurück ins Bad, um Fenster und Tür zu schließen, bevor er sich schwer atmend neben sie in die Polster sinken ließ und die Wolldecke über sie beide zog. Eng beieinander blieben sie sitzen. Und erst jetzt fiel Marie auf, dass auch Gabriel am ganzen Körper zitterte.
Vorsichtig hob sie den Kopf und warf einen Blick auf sein Gesicht. Er war blass, und unter seinen Augen lagen ebenso tiefe Schatten wie unter ihren– nein, wie unter Leas, berichtigte sich Marie und spürte, wie sie erneut heftig zu beben begann. Ihre eigenen Augen hatte sie ja gar nicht gesehen.
Eiskalte Finger schlossen sich um ihre und drückten sie fest, wie ein stummer Trost. Ein harter Klumpen saß plötzlich in Maries Kehle, und in diesem Moment hätte sie unglaublich gern Gabriels Augen gesehen. Aber er sah sie nicht an, sondern starrte nur auf die leere Staffelei beim Fenster.
» Wir haben keine Zeit mehr«, sagte er schließlich leise. Seine Stimme klang merkwürdig dünn.
Marie schluckte mühsam, aber der Klumpen blieb, wo er war. Ihr war immer noch schwindelig, und jetzt, wo sie begriff, was gerade geschehen war, hielt die Angst sie mit einer Kraft im Griff, die sie völlig zu lähmen schien. Aber es war nicht nur das. Nicht nur ihr, auch Gabriel war etwas zugestoßen, etwas Furchtbares, das war seiner ernsten Miene deutlich anzusehen. Was war bei dem Treffen mit seinem Freund passiert? Marie leckte sich über die Lippen, die sich ausgetrocknet und spröde anfühlten. Sie musste es wissen. Und gleichzeitig fürchtete sie sich vor der Antwort so sehr, dass sie die Frage kaum zu stellen wagte.
» Was… was hast du… was ist mit…« Sie brachte die Worte nicht auf die Reihe.
Gabriel verkniff den Mund zu einer grimmigen Linie. » Es war eine Falle.«
Maries Herz machte vor Schreck einen Satz, und ihr Magen zog sich schmerzhaft zusammen. » Eine Falle?« Jedes einzelne Wort war wie eine scharfe Klinge, die ihren Hals von innen aufschlitzte. » Wie das?«
Gabriel biss sich auf die Unterlippe. Es dauerte eine Weile, bis er antwortete. » Eine Fee. Sie hatte sich als Henrik getarnt«, sagte er endlich. » Zumindest… hoffe ich, dass es nur eine Tarnung war.«
Seine Hand zitterte, trotz seines festen Griffs um Maries Hand. Das Zittern übertrug sich auf ihren ganzen Körper. Für einen Moment schloss Gabriel die Augen und legte den Kopf leicht zur Seite, als würde er lauschen. » Sie ist immer noch da
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