Als die schwarzen Feen kamen
zittern. Der Maskierte sah stumm auf sie herab, reglos, als wäre er selbst eine Statue aus Obsidian. Seine Augen waren in den Schatten verborgen, aber Marie spürte den intensiven Blick, mit dem er ihr Gesicht betrachtete, als läge es mitten in einem Lichtkegel. Kalter Schweiß hinterließ einen metallischen Geschmack in ihrem Mund– da neigte der Maskierte den Kopf ein winziges Stück zur Seite. Und in diesem Augenblick spürte Marie plötzlich, wie ein eigenartiges Gefühl der Vertrautheit leise an die Tür ihres Bewusstseins pochte. Dies war nicht einfach nur irgendein Mann, der eine Maske trug. Sie kannte ihn. Kannte ihn viel zu gut.
Aus großen Augen starrte sie ungläubig zu ihm hinauf.
» Gabriel…?«, flüsterte sie fassungslos.
Der Maskierte erstarrte. Das Schwert zuckte um eine Winzigkeit und ritzte die Haut an Maries Hals. Ein einzelner Blutstropfen quoll hervor. Sie spürte ihn warm ihre Kehle hinabrinnen und unterdrückte einen Schmerzenslaut, presste die Hand vor den Mund und biss sich in den Zeigefinger. Wie war das möglich? Er war nicht hier, nicht wirklich. Gabriel würde niemals ein Schwert auf sie richten. Dies war Leas Prinz, kein Zweifel. Aber warum reagierte er dann auf diesen Namen?
Eine Ewigkeit geschah nichts. Marie wagte kaum zu atmen. Dann aber glitt die Klinge des Maskierten mit einer geschmeidigen Bewegung in die Scheide zurück, und er ging in die Hocke, bis er mit Marie auf einer Augenhöhe war. Wortlos starrte er sie an. Fragend. Verwundert. Eindringlich.
Marie schluckte und ließ langsam die Hand sinken. Diese Augen… sie hätte sie überall wiedererkannt. Sanfte, wunderschöne Augen, die niemanden verletzen wollten, und zugleich die entschlossenen Augen eines Leibwächters und Geliebten. Er war Gabriel und gleichzeitig war er es nicht. Dieser Mann wusste nichts von der anderen Realität, wusste nichts von Gabriels Existenz, wusste auch nichts über Marie. Er war Leas Beschützer, der maskierte Prinz. Und es gab nur einen Grund, warum er seine Waffe gegen jemanden erheben würde. Der einzige Grund, aus dem er überhaupt existierte. Doch jetzt war er sich nicht mehr sicher, ob Marie wirklich eine Bedrohung darstellte.
» Ich will ihr nichts tun«, flüsterte sie. Ihre Stimme zitterte. » Ich will sie befreien.« Die Worte kamen wie von selbst aus ihrem Mund, aber noch während sie sprach, erkannte sie, dass es die Wahrheit war. Ihre Kehle wurde eng. Lea war ein Teil von ihr. Ein verbitterter, einsamer, verzweifelter Teil zwar, aber sie gehörte zu ihr. Sie durfte nicht noch länger in dieser düsteren Welt bleiben, oder Marie würde zulassen, dass eben dieser Teil von ihr starb. Wenn sie nach Hause ging, musste sie Lea mitnehmen. Auch wenn sie noch nicht wusste, wie.
Eine Hand legte sich an ihre Wange. Warme, ein wenig raue Finger, die sich unglaublich vertraut anfühlten. Tränen stiegen Marie in die Augen. Der Maskierte. In ihrer kindlichen Fantasie hatte sie ihm nie eine echte Persönlichkeit, nie ein Aussehen unter seiner Maske oder auch nur eine Stimme gegeben. Er brauchte kein Gesicht, um ihr geheimer, bester Freund zu sein. Warum er jetzt Gabriels Züge trug, konnte sie nur vermuten, und es machte sie zugleich glücklich und verzweifelt, obwohl sie nicht hätte sagen können, wieso. In seinen Augen glaubte sie, ein Lächeln zu sehen. Ein winziges, trauriges Lächeln, das die goldenen Punkte in seiner Iris schimmern ließ. Er glaubte ihr.
Als sein Blick sie schließlich losließ, drehte er sich um, sodass er ihr den Rücken zukehrte, und sah über die Schulter zu ihr zurück. In seinen Augen war deutlich eine Aufforderung zu lesen.
Marie sah ihn erstaunt an und wischte sich die Tränen von den Wangen. Wollte er sie etwa tragen? Zögernd richtete sie sich auf und legte die Hände auf seine Schultern.
Der Maskierte griff nach ihren Beinen und stemmte sich in die Höhe. Marie schlang die Arme um seinen Hals und versuchte, sich so leicht wie möglich zu machen.
» Danke«, murmelte sie. Aber der Maskierte antwortete nicht. Mit kräftigen Schritten trug er sie vorwärts, aus dem Brunnen heraus und über den Marktplatz, hinein in die Dunkelheit der Gassen, aus der er gekommen war. Der faulige Atem des Windes schien ihm nichts auszumachen– oder ihn zumindest nicht zu beeinträchtigen. Marie fühlte, wie sich die Muskeln unter der Haut an seinem Rücken bewegten, während er geschmeidig und fast lautlos die Schatten durchquerte. Sie hielt sich gut fest und legte die
Weitere Kostenlose Bücher