Als die schwarzen Feen kamen
die Arme um ihren Oberkörper, in einem kläglichen Versuch, sich selbst ein bisschen Sicherheit zu geben. Alles in ihr drängte, schneller zu gehen, zu rennen, bis sie den Turm erreicht hatte. Aber sie musste ihre Kräfte schonen. Und war es im Turm nicht womöglich noch gefährlicher als hier? Und wo waren überhaupt die Feen und die Geister? Lauerten sie ihr auf? Oder hatten sie sie wirklich noch nicht bemerkt? Marie konnte sich das kaum vorstellen. Beinahe wünschte sie sich, sie würden sich endlich zeigen, damit die quälende Ungewissheit ein Ende hätte.
Aber die Straßen blieben leer und still, bis auf das Wispern in den Schatten, das keinen einzigen Augenblick verstummte. Marie war allein.
Endlich öffnete sich die Gasse zu einem weitläufigen Platz, in dessen Mitte ein großes Becken aus schwarzem Stein lag. Geschwungene Schalen stiegen treppenförmig eine schlanke Säule in seinem Zentrum hinauf.
Der alte Springbrunnen, dachte Marie, und Erleichterung durchströmte sie. Der Marktplatz. Sie war auf dem richtigen Weg.
Atemlos schleppte sie sich bis zur Mitte des Platzes und ließ sich schwer auf die Mauer des Beckens sinken, in dem schon seit Jahren kein Wasser mehr geflossen sein konnte. Diese verpestete Luft machte sie fertig. Ihre Kräfte waren beinahe am Ende. Sie musste sich ausruhen, zumindest eine kleine Weile, ehe sie das letzte Stück in Angriff nahm. Aus der Nähe sah der schwarze Stein rissig aus, spröde und stumpf. Der faulige Wind blies hier auf der offenen Fläche schärfer, und Marie hatte das Gefühl, sich in den ausgetrockneten Brunnen übergeben zu müssen. Am liebsten hätte sie sich hingelegt. Der Wind trug noch immer das klagende Flüstern der Geister heran. Und Schritte.
Schritte!
Marie sprang auf die Füße. Mit angehaltenem Atem lauschte sie in die Dunkelheit. Ihr Herz raste.
Tatsächlich. Schritte. Da kam jemand, und er näherte sich schnell, rannte vermutlich. Hastig sah Marie sich um. Sie musste sich verstecken, aber wo? Abgesehen von dem ausgetrockneten Brunnen gab es hier nichts.
So schnell sie konnte, stieg sie in das Becken und kauerte sich so dicht wie möglich neben die Säule, in den Schatten der Steinschalen, die daran befestigt waren. Es war ein schlechtes Versteck. Aber besser als gar keins. Wenn derjenige, der da durch die finsteren Gassen rannte, nicht nach ihr suchte, würde er sie vielleicht trotzdem übersehen. Aber wer konnte hier, in dieser toten Stadt, mitten in der Nacht unterwegs sein, und warum? Wenn es nur keine der Feen war! Bei dem Gedanken drehte sich ihr der Magen um vor Nervosität.
In diesem Augenblick verstummten die Schritte. Von einem Wimpernschlag zum nächsten war es still, bis auf das Pfeifen des Windes, das Flüstern der Geister– und Maries Herzschlag, der in diesem plötzlichen Schweigen unnatürlich laut schien. Marie begann zu zittern. Schweiß brach ihr am ganzen Körper aus. Was war passiert? Wo war die Person, der die Schritte gehörten? War sie weg? Und wenn ja, wohin war sie gegangen? Ihre Nerven waren inzwischen so überreizt, dass sie nicht einmal mehr mit Sicherheit hätte sagen können, ob sie sich die Schritte nicht doch nur eingebildet hatte. Ängstlich lehnte sie sich ein Stück zur Seite, bis sie um die Säule des Springbrunnens herumsehen konnte. Nichts. Der Marktplatz war genauso leer wie vorher. Marie atmete tief durch und zählte lautlos bis zehn. Aber die weite Fläche war und blieb verlassen.
Langsam wandte sie sich wieder um– und sah einen schlanken Schatten nur einen Schritt entfernt vor sich aufragen.
Marie unterdrückte einen Schrei und presste den Rücken fest gegen den rissigen Stein der Säule hinter ihr. Die Gestalt war wie aus dem Nichts aufgetaucht, als wäre sie direkt aus der Nacht gekommen. Ihre schwarze Kleidung ließ sie mit der Dunkelheit verschmelzen, und ihr Gesicht verbarg sich hinter einer Maske aus weichem Tuch. In der rechten Hand hielt sie ein blankgezogenes Schwert– dessen Spitze auf Maries Kehle gerichtet war.
Marie spürte, wie ihr Atem stockte, als das Begreifen sich wie eine kalte Faust um ihr Herz schloss. Der maskierte Prinz! Leas Prinz. Es gab ihn also noch! Und natürlich hatte er nach ihr gesucht. Sie hatten die ganze Zeit gewusst, dass sie hier war. Wie hatte sie nur jemals etwas anderes glauben können?
Das Schwert an Maries Hals glänzte matt im milchigen Licht, nur Millimeter von ihrer Haut entfernt, ohne sie zu berühren– und ohne auch nur ein einziges Mal zu
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