Als die schwarzen Feen kamen
und ihrem Begleiter.
Das Haus der Weberin lag weitab vom Stadtzentrum und dem Turm in einer engen Gasse. Klein und unauffällig drängte es sich zwischen die anderen Gebäude, als wollte es sich vor dem stetig näher kriechenden Nebel verstecken. Sämtliche Bewohner dieser Gegend waren den grauen Schwaden bereits endgültig zum Opfer gefallen und hatten sich in Nichts aufgelöst– nur die Weberin war noch da, wenn auch als Geist. Sie saß noch immer Tag für Tag an ihrem Webstuhl und verließ ihr Haus niemals. Vermutlich konnte sie es nicht einmal mehr. Denn nach ihrem Namen und ihrem Gesicht waren vor vielen Wochen schließlich auch ihre Gedanken geschwunden, sodass ihr nichts mehr blieb als die Arbeit, die sie unbeirrt verrichtete.
Lea klopfte an die dunkle Tür und trat ein, ohne auf eine Antwort zu warten. Sie wusste, dass sie keine bekommen würde. Der Maskierte folgte ihr. Er trug den Kelch so behutsam vor sich her, dass keine noch so kleine Erschütterung die schimmernde Flüssigkeit kräuselte.
Das rhythmische Klacken des Webstuhls drang durch die bewegungslose Luft zu ihnen herüber. Die durchscheinende Gestalt der hageren Frau saß auf ihrem gewohnten Platz zwischen Fenster und Kamin, in dem seit Jahren nur kalte Asche lag. Als Lea die Tür hinter sich und ihrem Begleiter schloss, richtete die Weberin sich auf. Der schattenhafte Fleck, der einmal ihr Gesicht gewesen war, wandte sich dem Mädchen zu, und Lea glaubte, sie lächeln zu sehen.
» A-ah… junge Herri-in… Sie ko-ommen zu frü-üh…« Wie ein klagender Windhauch strichen die Worte an Lea vorbei. Das Mädchen fröstelte und warf einen Blick auf den Maskierten und das Glas in seiner Hand.
» Ich komme nicht wegen der Stoffe«, sagte sie so sanft wie möglich. » Ich bringe Ihnen etwas zu trinken. Es ist eine Medizin. Sie wird Ihnen helfen.«
Sie nickte dem Maskierten zu. Langsam trat er vor. Doch an seinem zögernden Schritt und den fast unbeholfenen Bewegungen, mit denen er der Weberin den Becher reichte, konnte Lea sehen, wie groß seine Zweifel waren. Sie schluckte. Auch sie selbst fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Würde es funktionieren? Oder tat sie der Weberin womöglich gerade etwas Schreckliches an?
Lea schüttelte stumm den Kopf. Es war längst zu spät, um umzukehren. Wenn dies eine Chance war, ihre Welt zu retten, dann würde sie sie ergreifen. Schlimmer konnte sie es ja kaum noch machen. Mit klopfendem Herzen beobachtete sie, wie der Maskierte der Weberin half, den Kelch zu einem Mund zu führen, der kaum noch mehr als ein schemenhafter Umriss war. Das Elixier glühte hell auf, als es die geisterhaften Lippen traf, und zog eine glitzernde Spur durch die durchscheinende Kehle der alten Frau. Lea sah, wie sich die Flüssigkeit in ihrer Brust sammelte– dort, wo einst ein menschliches Herz geschlagen haben musste.
Im nächsten Moment erschütterte ein dumpfes Pochen die stille Luft. Aus der Mitte der formlosen Gestalt der Weberin begann ein Netz aus unzähligen feinen Lichtlinien zu wachsen, das sich nach und nach über ihren Körper ausbreitete und ihn mit pulsierendem Leben füllte. Lea hielt den Atem an.
» Ihr hattet recht!«, flüsterte sie fassungslos, obwohl sie wusste, dass keine der Feen in der Nähe war, um sie zu hören. » Ihr hattet recht, sie… sie lebt!«
Tränen stiegen Lea in die Augen, als die gütigen Züge der Frau in dem schattenhaften Gesicht Gestalt annahmen. Mit jedem Augenblick wich der Nebel ein Stück weiter von der Weberin zurück, und ihre Lippen verzogen sich zu einem seligen Lächeln.
Lea griff sich an die Brust, als das tiefe Pochen in einen langsamen, regelmäßigen Rhythmus überging. Das Leben kehrte in die Obsidianstadt zurück, sie spürte es mit jeder Faser ihres Körpers. Das glühende Herz der Weberin hatte zu schlagen begonnen, und mit jedem Schlag tropfte ein wenig ihrer Persönlichkeit in Leas Bewusstsein, wie eine langsam zurückkehrende Erinnerung. Ein Name …
Karin.
In diesem Augenblick öffnete die Frau ihren Mund. » Marie!«, flüsterte sie.
Und mit leuchtenden Augen streckte sie die Hände nach ihrer Tochter aus.
Achtes Kapitel: In den Schatten
Marie erwachte am Sonntag mit bohrenden Kopfschmerzen und dem Gefühl, von einem Panzer überfahren worden zu sein. Die Sonne schien durch das Fenster direkt in ihr Gesicht und kitzelte ihre Nase. Unwillig wälzte Marie sich auf die andere Seite und zog die Decke über ihren Kopf, um das Licht auszusperren.
Doch gerade,
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