Als die schwarzen Feen kamen
als sie beinahe wieder eingedöst war, um ihren Sonntagsschlaf fortzusetzen, fiel ihr ein, was an dieser Situation nicht stimmte.
Mit einem Ruck warf sie sich erneut herum, zog die Decke von ihren Augen und starrte auf ihren Wecker. Nein, sie täuschte sich nicht. Die Sonne, die im Winter nur am Nachmittag direkt durch ihr Fenster schien, war auch an diesem Tag nicht außergewöhnlich früh dran.
Der Wecker zeigte viertel vor vier. Egal wie Marie es drehte und wendete, daran gab es nichts zu rütteln. Es war viertel vor vier am Sonntagnachmittag, sie hatte beinahe achtzehn Stunden am Stück geschlafen, und niemand hatte sie geweckt.
Verwirrt rieb sich Marie den Schlaf aus den Augenwinkeln und schwang die Beine aus dem Bett. Dann blieb sie einige Sekunden lang reglos sitzen, um zu lauschen. In der Wohnung war es still. So still, dass Marie das Ticken der Küchenuhr durch die geschlossene Tür bis in ihr Zimmer hören konnte. War ihre Mutter nicht zu Hause? Marie richtete sich mit noch vom Schlaf wackeligen Beinen auf und streifte ihren Morgenmantel über. Normalerweise sagte Karin Bescheid, bevor sie irgendwohin ging– immerhin war das ein willkommener Vorwand, in Maries Zimmer einzudringen und die faule Tochter gegebenenfalls zu wecken. Und selbst wenn sie zu Hause war, scheuchte sie Marie auch am Wochenende spätestens zum Mittagessen aus dem Bett.
Heute aber roch es nicht einmal danach, als ob es bald etwas zu essen geben würde. Vorsichtig schob Marie ihre Zimmertür auf. Stille schlug ihr entgegen. Schon von hier aus konnte sie erkennen, dass sowohl das Wohnzimmer als auch die Küche verwaist waren. Doch die Tür zum Schlafzimmer ihrer Mutter war geschlossen. Das war sie tagsüber sonst nie.
Auf Zehenspitzen schlich Marie durch den Flur. Der Gedanke, die Stille zu durchbrechen, war ihr seltsam unangenehm. Leise schlüpfte sie ins Schlafzimmer.
Gelbes Dämmerlicht empfing sie. Die Vorhänge waren zugezogen und sperrten den größten Teil des Sonnenlichts aus. Der Raum roch ein wenig muffig nach Schlaf, als sei an diesem Tag noch nicht gelüftet worden. Und in dem breiten Bett, unter dem Federbett und einer zusätzlichen Wolldecke, lag Karin und starrte an die Wand. Ihre Brust hob und senkte sich im Gleichtakt mit dem trägen Ticken der Küchenuhr.
» Mama?«, flüsterte Marie. Ein seltsames Gefühl prickelte in ihrem Nacken. Etwas stimmte hier nicht, das spürte sie deutlich. Es war zwar nicht ungewöhnlich, dass ihre Mutter sich am Nachmittag für eine Weile hinlegte. Aber das Bild, das sich ihr hier bot, ließ Marie eher vermuten, dass sie heute überhaupt noch nicht aufgestanden war. Ihre Mutter trug noch ihr Nachthemd und ihre Haut wirkte seltsam fahl, wie von einem Schatten überzogen… Marie blinzelte. Nein, dachte sie, das war sicher eine Sinnestäuschung durch das merkwürdige Licht hier im Raum. Sie war einfach noch nicht ganz wach.
Beim Klang von Maries Stimme drehte Karin langsam den Kopf und ein schwaches Lächeln umspielte ihre Lippen. » Hallo, Kleines.«
» Mama… Geht es dir nicht gut?« Zögernd machte Marie einige Schritte in den Raum hinein.
» Endlich kommst du…« Ihre Mutter zog die Bettdecke bis zum Kinn nach oben. » Ich dachte, du würdest nie wieder mit mir reden…«
Marie runzelte bestürzt die Stirn. Karin hatte geweint, lange geweint, das sah sie jetzt deutlich. Ihre Augen waren rot und geschwollen, die blassen Wangen fleckig. Das sah ihr überhaupt nicht ähnlich. Marie fiel ein, dass ihre Mutter sich schon gestern nicht gerührt hatte– weder als sie zu ihrem Treffen mit Gabriel aufgebrochen, noch als sie zurückgekehrt war. Obwohl das sonst nicht Karins Art war, hatte Marie sich keine großen Gedanken darum gemacht, war heimlich sogar froh gewesen. So musste sie wenigstens nicht darüber nachdenken, wie sie ihrer Mutter von den schrecklichen Ereignissen im Park erzählen sollte– oder noch schlimmer: so tun, als wäre alles ganz normal. Denn das wäre einfach vollkommen unmöglich gewesen. Jetzt aber kam ihr die Regungslosigkeit der Mutter sehr merkwürdig vor. War es ihr gestern schon schlecht gegangen?, fragte sich Marie schuldbewusst. » Mama, hast du Fieber?« Sie setzte sich auf die Bettkante und betrachtete besorgt Karins eingefallene Wangen.
Doch ihre Mutter schüttelte nur schwach den Kopf. » Ich fühle mich heute so schwer. So müde…«
Wie ein Kind, dachte Marie unwillkürlich. Sie verhielt sich wie ein verängstigtes Kind. Was war nur mit ihr
Weitere Kostenlose Bücher