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Als die schwarzen Feen kamen

Als die schwarzen Feen kamen

Titel: Als die schwarzen Feen kamen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Beer
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sie jetzt tun? Wieder zu ihrer Mutter ins Schlafzimmer zu gehen, traute sie sich kaum. Was, wenn sie immer noch nicht reden wollte? Marie hatte das Gefühl, diese fremde Mutter nicht noch einmal ertragen zu können. Und hatte Dr. Hansen nicht gesagt, Karin brauche vor allem Ruhe? In die Stille zwischen zwei Gedanken hinein grollte Maries leerer Magen. Kein Wunder, sie hatte ja seit gestern Nachmittag nichts mehr gegessen. Ob sie versuchen sollte, etwas zu kochen? Marie hatte darin nur wenig Erfahrung, aber ein paar Nudeln mit Tomatensoße würde sie wohl hinkriegen. Und auch Karin würde etwas Warmes im Magen sicher guttun. Doch auch nachdem Marie diesen Entschluss gefasst hatte, konnte sie sich immer noch nicht durchringen, in die Küche zu gehen und damit anzufangen. Aber wovor hatte sie eigentlich solche Angst? Frustriert und verzweifelt setzte sie sich mitten auf den Teppichläufer im Flur. Ja, sie hatte Angst, gab sie stumm zu. Weil sie immer noch das absurde Gefühl hatte, dass die Feen…
    In einem Anflug von Panik sprang Marie wieder auf die Füße. Es war nicht nur ein Gefühl! Sie hatte es doch gesehen– oder? Sie musste sich sicher sein. Mit zwei hastigen Schritten durchquerte sie den Flur und riss die Tür zum Schlafzimmer auf.
    » Mama…!« Stocksteif blieb sie stehen.
    Sie hatte sich nicht getäuscht. Eine durchscheinende dunkle Aura umschloss ihre Mutter wie eine zweite Haut. Tanzende Schatten ohne Lichtquelle, die sich bewegten wie… Flügel.
    Karin lag reglos auf dem Rücken und starrte noch immer an die Decke, als hätte sie überhaupt nicht bemerkt, dass ihre Tochter hereingestürmt war. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Hauch. » Schwer. Ich bin so schwer…«
    Und noch immer sah sie Marie nicht an, die auf der Schwelle zu ihrem Zimmer stand und am liebsten geschrien hätte. Aber sie tat es nicht. Stattdessen knallte sie die Tür wieder zu und lehnte sich mit zitternden Knien mit dem Rücken dagegen. Keuchend rang sie nach Atem. Sie glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Wurde sie nun selbst verrückt? Aber sie hatte es gesehen! Die Schatten, die an ihrer Mutter hafteten, hatte sie sich doch nicht eingebildet! Und diese Beklemmung, die sie dabei verspürte, die fühlte sich an wie… wie…
    Langsam rutschte Marie an der Tür hinab zu Boden. Im Raum hinter ihr war es immer noch still, als wäre sie nie dort hineingegangen. Maries Hände verkrampften sich zu Fäusten. Was sollte sie jetzt nur tun? Was? Sie schaffte das nicht allein– dieser Gedanke kreiste immer und immer wieder in ihrem Kopf. Das war zu viel für sie, viel zu viel! In diesem Moment wünschte sie sich so sehr, Theresa anrufen zu können. Aber sie wusste selbst, das war keine Lösung. Theresa hatte kein Verständnis mehr für ihre Feengeschichten. Sie würde nicht wie früher mit Marie in die Deckenhöhle kriechen, um die Biester zu vertreiben. Vermutlich würde sie ihr nicht einmal zuhören.
    Und doch waren sie da. So unmöglich es auch klang. Die Feen– oder was auch immer sie sein mochten– waren hier, und wegen ihnen ging es ihrer Mutter schlecht. Welche andere Erklärung gab es sonst für diese unnatürlichen Schatten? Marie jedenfalls wusste keine. Aber wer würde ihr so etwas glauben? Dr. Hansen jedenfalls hatte die Feen nicht bemerkt, sonst hätte sie die Krankheit niemals einfach als Stresssymptom abgetan. Mit ihr konnte Marie also nicht sprechen, aber mit wem dann? Dr. Roth vielleicht? Der Therapeut würde sie zumindest nicht auslachen oder ihre Sorgen als unnötig abtun, auch wenn er die Feen nur als unterbewusste Symbole ihrer Ängste deutete. Doch heute, am Sonntag, war er nicht in seiner Praxis, und Marie hatte keine Ahnung, wie sie ihn privat erreichen konnte. Sie würde ihn also frühestens morgen sprechen können. Aber wie sollte sie die Zeit bis dahin überstehen, ohne dass jemand ihr sagte, was sie nun tun sollte? Ohne irgendjemanden, der zumindest versuchte, sie zu verstehen?
    Marie wusste, wohin sie dieser Gedanke führen würde. Es gab nur eine Person, die ihr noch einfiel. Jemand, von dem sie bis gestern kaum mehr als den Namen gekannt hatte. Jemand, von dem sie bis jetzt nicht mehr erfahren hatte, als dass er auf der Sternschanze wohnte und behauptete, die Feen in ihr zu sehen. Sein Gemälde war den Wesen aus Maries Traum nicht nur ähnlich gewesen– es war ein exaktes Abbild von ihnen. Niemals hätte er sie aufgrund einer Beschreibung aus zweiter Hand so malen können, egal wie begabt er war! Und

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