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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Pearce
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den Blick wandern lassen und sah die ganze Anlage des Gartens und die Mauern und die Hecken, die ihn eingrenzten. Er konnte auch das Haus sehen. Gerade lehnte sich Susan aus einem der oberen Fenster, um jemandem im Garten einen Handkuss zuzublasen – Abel, vermutete Tom. Er konnte in den Hof des Hauses sehen – nie war ihm eingefallen, es könnte einen Hof haben. Dort war Edgar gerade dabei, Pincher in einem Badezuber voll Seifenwasser zu waschen. Pincher sah sehr sauber und recht zerzaust aus, mit gerecktem Hals, angelegten Ohren und eingezogenem Schwanz. Ganz ausgelassen rief ihm Tom zu: »Halt die Ohren steif, Pincher!« Pincher hörte oder sah oder roch ihn sogar -schwer zu sagen, was der Grund war, doch selbst unter der Hülle aus Seifenschaum sträubten sich seine Nackenhaare und plötzlich schoss er aus dem Badezuber heraus. Edgar musste ihm völlig entnervt und voll gespritzt mit Seife und Wasser über den ganzen Hof nachjagen und ihn wieder einfangen.
    Jenseits des Hauses und des Gartens sah Tom einen Weg, auf dem ein Pferdekarren entlangzuckelte. Dahinter lag eine Wiese und dann erkannte er eine Schlangenlinie, die der Fluss sein musste. Er floss an der Wiese vorbei und erreichte das Dorf und ließ es wieder hinter sich. Er erreichte eine Brücke mit weißem Geländer und glitt unter ihr hindurch und dann weiter fort, zu wie viel Seen und Wassermühlen und Schleusen und Fähren, von denen Hatty und Tom nichts wussten? So strömte der Fluss dahin, nach Castleford und Ely und King's Lynn, und mündete schließlich in die majestätische See.
    »Was siehst du hinter dem Garten, Tom?«, flüsterte Hatty zu ihm hoch, deren Neugier die Oberhand über ihre Angst gewonnen hatte.
    »Wenn du es nur selbst von hier oben aus sehen könntest …«, sagte Tom; und seine Worte schwebten hoch oben über dem Garten davon.
    Er konnte es ihr nicht sagen – er wusste nicht, wie er für sie ein Bild dieser Weite malen sollte. Sie musste es selbst sehen. In einer flachen Landschaft wie dieser gewährt sogar eine kleine Erhebung eine überwältigende Aussicht, wie von der Spitze eines Berges. Tom hatte bisher nur den Garten und kaum etwas darüber hinaus gekannt; nun, oben auf der Mauer, kam es ihm vor, als sähe er die ganze Welt.
    »Sag mir, was du siehst«, bat ihn Hatty inständig.
    »Von hier oben kannst du den Fluss sehen«, begann Tom, »und wenn du dem Fluss mit den Augen folgst –«
    »Ja, ja?«, flüsterte Hatty.
    Tom beendete seinen Satz nicht, denn in diesem Moment tauchte Abel zwischen den Bäumen auf. Er rannte; er lief direkt auf Hatty zu; er packte sie mit den Händen bei den Schultern und Tom sah sie plötzlich in die Knie sinken. Dann drückte Abel ihr etwas in die Hand und begann, über ihr stehend, rasch und mit gedämpfter Stimme zu sprechen. Tom hörte Hattys Stimme antworten. Sie klang verängstigt. Er konnte nicht verstehen, was die beiden sagten.
    Hastig ging Tom den Weg, den er auf der Mauer gekommen war, zurück und kletterte hinunter in den Garten. Inzwischen war Hatty wieder alleine.
    »Was um Himmels willen war denn los?«, fragte Tom.
    »Abel dachte, ich wollte oben auf der Mauer entlanggehen, wie James damals«, sagte Hatty. »Er wollte mich aufhalten, weil es gefährlich ist.«
    »Ich dachte schon, er würde dich schlagen.«
    »Er ließ mich niederknien und auf seine Bibel schwören – schwören, dass ich nie auf die Sonnenuhrmauer klettern und oben entlanggehen werde.«
    »War er sehr wütend?«, fragte Tom.
    Langsam sagte Hatty: »Nein. Ich glaube, er hatte – irgendwie – Angst.«
    »Angst?« Tom runzelte die Stirn. »Du meinst, dass du Angst gehabt hast; er war wütend.«
    »Nein, ich hatte nur ein wenig Angst, weil er so schnell gerannt kam und so stark war; aber ich bin sicher, dass auch er Angst hatte, und zwar viel mehr. Als er mir die Bibel in die Hand drückte, war seine Hand ganz feucht und zittrig.«
    »Warum ist er überhaupt plötzlich auf den Gedanken gekommen, du könntest auf die Mauer steigen?«, fragte Tom.
    »Weil er bemerkt hat, wie ich dauernd nach oben schaute, glaube ich.«
    »Nein, das kann nicht der Grund sein«, sagte Tom. »Er rannte, als er zwischen den Bäumen hervorkam. Er muss mit der Bibel in der Hand gerannt sein, bevor er dich auch nur gesehen hat.«
    »Vielleicht hat er gehört, wie ich mit dir gesprochen habe.«
    »Nein, du hast nur geflüstert und mich hätte er nicht hören können.« Damit meinte Tom nicht, dass er sehr leise gesprochen hätte, denn

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