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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Pearce
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Vögel im Garten – Tom war besonders gut darin, sie zu überraschen und dem wachsamen Eichelhäher Streiche zu spielen; doch sie schützten sie auch vor Gefahren. Hatty befreite Vögel aus dem Drahtverhau und den Erdbeernetzen. Und wenn Abel ganz sicher nicht in der Nähe war, löste sie den Haken am Verschlag der Sperlingsfalle. Wenn einer der Vettern mit einem Gewehr in den Garten kam, rannte Tom mit rudernden Armen schreiend vor ihm her, um die Vögel zu warnen. Wilde Tauben erhoben sich schwerfällig aus den Reihen der Bohnenstangen, wo sie auf Beute aus waren, und flüchteten sich in die Sicherheit des Waldes. Geschossen wurde nie etwas – wenn man einmal von Tom selbst absah, der eine Ladung Schrotkörner durch den Bauch bekam. Hatty erbleichte, doch Tom lachte – sie kitzelten ihn bloß.
    Eines Tages, als Tom und Hatty auf die Sonnenuhr an der Südmauer starrten und herauszufinden versuchten, wie sie die Zeit anzeigte, sahen sie einen Zaunkönig auf einem der steinernen Sonnenstrahlen über dem Zifferblatt. Zwischen der Mauer und den Strahlen war ein kleiner Hohlraum, und kurz darauf verschwand der Vogel.
    »Glaubst du, da ist ein Zaunkönigsnest?«, flüsterte Hatty, und Tom meinte, es könne gut sein. Doch vom Weg unten konnte man es natürlich nicht genau erkennen.
    »James ist einmal auf der Sonnenuhrmauer entlangspaziert«, sagte Hatty.
    »Nein, das werd ich nicht tun«, sagte Tom. »Das wäre bloß dumm, nicht mutig. Die Mauer ist viel zu hoch und oben sicher ganz schmal. Das wäre viel zu gefährlich.«
    »Ach Tom, das hab ich nicht gemeint!«, sagte Hatty bestürzt. »Für James war es nur eine Mutprobe. Vetter Edgar hat ihn herausgefordert und James hat sich darauf eingelassen. Er ist auf der Mauer entlanggegangen, dann wieder heruntergeklettert, dann hat er mit Vetter Edgar gekämpft und dann ist ihm schlecht geworden. Und als Hubert davon gehört hat, wurde er ganz zornig, weil James hätte herunterfallen und sich den Hals brechen können.«
    Tom schwieg und dachte über Hattys Worte nach. Ganz allmählich kam er doch zu dem Entschluss, auf die Mauer zu klettern, denn für ihn konnte es ja nicht so gefährlich sein wie für James. Er mochte von der Mauer fallen, doch ein solcher Sturz, selbst aus dieser Höhe, konnte ihm nicht den Hals brechen, ja ihm nicht mal einen Kratzer zufügen.
    »Mal schauen, ob hinter der Sonnenuhr wirklich ein Nest ist«, sagte er zu Hatty. »Ich steig hoch.«
    »OTom!«
    Die Art, wie Hatty »O Tom« sagte, ließ Tom warm ums Herz werden. Er tätschelte ihre Hand. »Mach dir keine Sorgen. Mir kann nichts passieren.«
    Über die leiterartigen Zweige eines Spalierbaums kletterte er hoch auf die Mauer. Trotz allem, was er sich eben noch gesagt hatte, packte ihn der Schreck, als er sich oben aufrichtete. Die Mauerkrone war so schmal – zwanzig Zentimeter, an manchen Stellen wegen des abgebröckelten Mauerwerks noch schmaler. Kräftige Ranken überwucherten die Mauer, über die er würde steigen müssen; und zu beiden Seiten dieses schmalen, gefährlichen Pfades fiel die Mauer jäh und steil ab, auf der einen Seite zum Obstgarten, auf der anderen zu Hatty, die ihr blasses Gesicht zu ihm emporgewandt hatte. Tom wusste jedoch, dass er nicht nach unten sehen durfte, wenn er kühles Blut bewahren und auf dieser Mauer balancieren wollte. Er richtete die Augen geradeaus und schritt entschlossen voran.
    Bald war er über der Tür zum Obstgarten, dann über den Weinranken und schließlich über der Sonnenuhr. Er konnte erkennen, dass der Wind verdorrte Blätter und anderen federleichten Gartenabfall in den Hohlraum zwischen den steinernen Sonnenstrahlen und der Mauer geweht hatte. Auf der einen Seite war das Gestrüpp offenbar viel dichter. Tom ließ sich auf Hände und Knie nieder und sah jetzt, genau hinspähend, tatsächlich das mit grünbraunem Moos verflochtene Nest eines Zaunkönigs. Er konnte das kleine Loch d ei Eingangs erkennen.
    »Da ist ein Zaunkönigsnest«, rief er Hatty mit verhaltener Stimme zu. »Aber ich trau mich nicht, es anzufassen – ich glaub, es wär nicht gut für den Vogel.«
    »Komm jetzt lieber runter, Tom!«
    Er richtete sich auf und wollte sich schon auf den Weg nach unten machen. Doch nun, hoch oben die freie Sicht genießend, überkam ihn jähe Freude. Er schritt auf der Mauer entlang wie ein König. Unten im Garten folgte ihm Hatty und flüsterte zu ihm empor; doch er achtete nicht auf sie, so hoch stand er über ihr und dem Garten. Er musste nur

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