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Als die Uhr dreizehn schlug

Titel: Als die Uhr dreizehn schlug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Pearce
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abgeblieben war. Doch statt eines Jungen sah sie zwei: Sie ähnelten sich sehr und hatten beide Schlafanzüge an. Der zweite Junge wirkte ebenso merkwürdig durchsichtig, wie es ihr vor kurzem bei Tom aufgefallen war. Fast war ihr, als könne sie durch beide Gestalten hindurch das Turmgeländer sehen. Verdutzt starrte sie herüber.
    »Aber Tom, wo ist der Garten?«, sagte Peter recht enttäuscht. »Ich dachte, du wärst bei Hatty im Garten.«
    Tom antwortete ohne Umschweife, weil er spürte, dass die Zeit knapp war und immer knapper wurde. »Der Garten ist dort drüben«, sagte er und streckte den Arm in Richtung Castleford aus. »Und da ist Hatty.«
    »Wo? Ich sehe sie nicht«, sagte Peter.
    Tom deutete auf Hatty. Peter stand ihr direkt gegenüber – sie war die Einzige auf der anderen Seite des Turms, die sich in seine Richtung gewandt hatte.
    »Da!«, sagte Tom. »Vor deiner Nase – die mit den Schlittschuhen.«
    »Aber das kann nicht Hatty sein«, sagte Peter entrüstet, »das ist doch eine erwachsene Frau!«
    Tom starrte Hatty an, als würde er sie zum ersten Mal sehen, er öffnete den Mund – doch er brachte kein Wort hervor.
    »Es ist Zeit«, rief der Turmwärter, »Zeit für den Abstieg, wenn ich bitten darf, meine Damen und Herren!«
    Die kleine Schar Ausflügler begann sich zur Wendeltreppe zu drängen; einer nach dem anderen ging hindurch. Nur Hatty blieb, wo sie war, ebenso wie die beiden Jungen.
    »Aber sie ist erwachsen«, sagte Peter noch einmal.
    Hatty kam jetzt zu ihnen herüber, und Tom spürte, wie Peter vor ihr zurückwich.
    »Wer war das? Was war das?«, hauchte Hatty Tom zu; und Tom, wiederum ohne nachsehen zu müssen, wusste, dass Peter von seiner Seite verschwunden war – ganz durchsichtig geworden und dann verschwunden. »Er war wie du«, flüsterte Hatty, »und er sah unwirklich aus, genau wie du.«
    »Kommen Sie, meine Dame!«, rief der Turmwärter und sah Hatty verwundert an. Sie war eigentlich zu jung, um schon ein wenig komisch im Kopf zu sein und vor sich hin zu murmeln.
    »Das war Peter, mein Bruder«, stammelte Tom. »Aber es gibt ihn wirklich, Hatty. Er ist wirklich, so wie ich. Du hast gesagt, ich sei wirklich, Hatty.«
    »Wollen Sie heute Abend überhaupt nicht mehr nach Hause, junge Dame?«, fragte der Wärter ungeduldig.
    Hatty hörte ihn und sah plötzlich auf und blickte sich um. Die Sonne war untergegangen; in der Stadt unten erhellten gelbe Lichter ein Fenster nach dem andern; jenseits der Stadt lag die weite Ebene der Fens jetzt in Dunkelheit, sodass man die Windungen des Flusses nicht mehr erkennen konnte.
    »Es ist spät«, rief sie in jäher Angst. »Ja, wir müssen uns beeilen!«
    »Wir?«, sagte der Wärter. »Sie sollten sich beeilen! Ich warte schon die ganze Zeit auf Sie –« Hatty rannte jetzt hastig die Treppe hinunter, mit Tom auf den Fersen. Der Wärter blieb grummelnd zurück, schloss die Tür hinter sich und folgte ihnen schließlich.
    Im Turminnern herrschte schwarze Dunkelheit, als ob die Nacht schon hereingebrochen wäre. Tom spürte, dass die Dunkelheit Hattys angsterfüllte Hast, endlich nach Hause zu kommen, noch steigerte. Sie hielt Tom davon ab, in aller Ruhe über die merkwürdige Begegnung oben auf dem Turm nachzudenken. Verwirrt fragte er sich, wie Peter zu ihnen gelangt war und ob er wieder kommen würde.
    Doch er kam nicht mehr.
    Zu Hause war Peter Long aus seinem Traum erwacht – einem schlechten Traum, wenn auch nicht gerade einem Alptraum. Er lag im Bett und ließ ihn noch einmal Revue passieren, doch er erinnerte sich nur an scheinbar unzusammenhängende Bruchstücke: Er hatte sich in den Schlaf gezählt und wusste noch, dass er bis zweihundertsechsundachtzig gekommen war. Dann war er irgendwo hoch oben gewesen, wo er nicht sein wollte, und der Garten lag in unerreichbarer Ferne; auch Tom war da gewesen; und er erinnerte sich, wie Tom auf jemanden gedeutet und ihm gesagt hatte, dies sei Hatty. Daraufhin hatte er ausgerufen, das könne nicht sein, denn es sei eine erwachsene Frau und gar kein Kind. Er sah noch einmal den merkwürdigen Ausdruck auf Toms Gesicht: Erstaunen, als ob er langsam begriff, gemischt mit Angst.

    Tom und Hatty rannten aus der Kathedrale und machten sich auf den Weg zum Fluss, gerade als die meisten Schlittschuhläufer aus Ely allmählich nach Hause kamen. Sie waren offenbar die Einzigen, die aufs Eis hinausgingen.
    Drei alte Männer, die nicht mehr Schlittschuh liefen und sich lässig an die Anlegepfosten entlang

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