Als die Welt zum Stillstand kam
hatte. Sie rief sich das Bild vor Augen, das sie kurz im Licht des Feuerzeugs gesehen hatte.
Direkt neben ihr war ein eingestürzter Stollen gewesen, dort ging es nicht weiter. Aber schräg links vor sich hatte sie eine Tür gesehen …
Celie tastete sich in ihre Richtung. Sie löste den Riegel der Tür und drückte dagegen. Sie war verschlossen. Was jetzt?
Celie war nicht bereit, aufzugeben. Sie tastete sich an der Tür entlang, bis sie ein Astloch fand, so dick wie ihr Daumen. Sie drehte sich um, ging ein Stück zurück und tastete auf dem Boden nach der Eisenstange, die sie dort hatte liegen sehen. Es dauerte eine Weile, dann umschlossen ihre Finger das kalte Metall. Zurück zur Tür, und nun, leise, vorsichtig …
Es knarrte, als Celie die Stange in das Astloch bohrte. Ganz leicht ruckelte sie mit der Stange hin und her. Vergebens. Sie konnte die Männer draußen lachen hören, aber obwohl sie laut lachten, klang es nur sehr gedämpft. Also riskierte sie es: Sie drückte mit aller Kraft gegen die Stange und wie ein Brecheisen löste sie mit einem viel zu lauten Krachen das Brett aus der Tür.
Celie wusste nicht, ob die Männer sie gehört hatten, aber jetzt konnte sie es sowieso nicht mehr ändern. Sie konnte nur vorwärtsgehen und genau das tat sie. Auch hier war es stockdunkel. Sie hob ihr Feuerzeug und drückte das Rädchen. Zwei, drei, vier Sekunden. Sie ließ das Rädchen wieder los. Machte das Feuerzeug noch einmal an. Ließ es wieder verlöschen. Nein, sie hatte sich nicht geirrt. Das hier war keine Fata Morgana. Das war ein Lager. Randvoll mit Konserven, Säcken voller Reis, Nudeln und Kartoffeln, Körben mit Ananas und Melonen, Kisten voller Schokolade, Fässern mit Olivenöl, Kästen mit Bier, Wein, Cola, Whiskey …
Jetzt wusste sie, woher Jason die Schokoriegel gehabt hatte. Und die Erdnüsse. Celie dachte an Timothys Familie und all die anderen da draußen, die kaum genug zum Überleben hatten, und Wut stieg in ihr hoch.
Sie machte das Feuerzeug wieder an und bemerkte aus dem Augenwinkel eine winzige Bewegung. Dann starrte sie den beiden Kameradrohnen ins Auge, die – nicht größer als Hummeln – über ihr in der Luft schwebten. Wenn das Jasons Spezialdrohnen waren, dann war Celie vermutlich gleich tot. Sie starrte die Drohnen regungslos an. Minutenlang, wie es ihr schien. Aber nichts geschah. Offenbar zeichneten diese Drohnen nur auf.
Mit einem Mal sah sie wieder die Nachrichtenbilder der ermordeten Jungen vor sich. Sie waren hier, in der Nähe des Bergwerks gefunden worden. Neben sich die Verpackung eines Schokoriegels und eine leere Flasche Cola.
Sie hatten das Lager vor Celie entdeckt und dafür hatten sie sterben müssen.
Celie hatte keine Zeit zu verlieren. Sie ging zurück zu der Bretterwand, durch die sie ins Bergwerk gelangt war.
Die Kameradrohnen folgten ihr. Sollten sie nur alles aufzeichnen, Celie konnte es sowieso nicht verhindern. Vielleicht würden die Leute vom Widerstand eine Möglichkeit finden, an die Aufzeichnungen zu kommen und sie öffentlich zu machen. Das würde Jason wahrscheinlich nicht das Genick brechen, aber es würde sein Image empfindlich beschädigen. Und vielleicht war es dann auch möglich, eine polizeiliche Untersuchung durchzuführen, die Jasons Beteiligung an den Morden offenlegte …
Sie kroch nach draußen und lauschte auf die Security-Männer. Sie unterhielten sich nur noch leise. Celie konnte das Flackern eines Feuers sehen. Wahrscheinlich hatten die Männer sich dort für die Nacht eingerichtet. Vorsichtig spähte sie um die Ecke. Ja, dort lagen sie, in Schlafsäcke gehüllt. Einer schlief offenbar schon, die anderen starrten Löcher in die Luft, ab und zu sagte einer etwas.
Celie konnte nicht warten, bis sie eingeschlafen waren. Sie wusste nicht, ob die Kameradrohnen dem Sender, der Polizei oder Jason selbst gehörten. Vielleicht hatte er die Aufzeichnungen schon gesehen und schickte in diesem Moment seine Todesdrohnen los! Sie wartete einen günstigen Moment ab und schlich dann mit wild klopfendem Herzen keine fünf Meter an den Männern vorbei ins schützende Dunkel der Nacht.
* * *
Wenn Jason von der neuen Welt träumte, sah er zuallererst die Tore vor sich. Seine Tore. Seinen Weg zur unbegrenzten Macht. Sobald alles andere erledigt war, würde das Tornetz wiedererstehen. Und dann würde der ehemals gesperrte Junge der Einzige sein, der über die Erde wandelte, wo immer es ihm gefiel. Wie ein Gott.
Einigen besonders treuen
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