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Als die Welt zum Stillstand kam

Als die Welt zum Stillstand kam

Titel: Als die Welt zum Stillstand kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Neumayer
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verlaufen hatte. Er wusste nicht genau, warum, aber er hatte sich damals nicht bemerkbar gemacht, sondern sie einfach nur aus der Ferne angesehen, solange sie dort saß. Auch später hatte er ihr nie gesagt, dass er ihren Zufluchtsort kannte. Sie brauchte einen geheimen Ort, an dem sie sich ungestört fühlte – so viel war ihm schon als Kind klar gewesen.
    Mit klopfendem Herzen ging er in den Wald hinein, in Richtung des Hügels.
    Er hörte sie, bevor er sie sah.
    Die Töne der Mundharmonika flogen durch die Luft, direkt in sein Herz, und er musste stehen bleiben. »Irish Blessing«, Celies Lieblingslied. Sie hatte es Alex zum ersten Mal vorgesungen, als sie sieben oder acht gewesen waren. Damals hatte Alex das Gefühl gehabt, alles hätte sich gegen ihn verschworen: Sein erstes eigenes Beet im Co-House erstickte in Unkraut, auf dem Heimweg von der Schule hatte der Klassenrambo ihn verprügelt, und zu allem Überfluss hatte seine Mutter einen neuen Typen kennengelernt, der sich allmählich bei ihnen einnistete. Mit dem Lied hatte Celie ihn trösten wollen und das hatte auch funktioniert.
    Leise sang er den Text mit, als er auf den Hügel zuging.
    May the road rise to meet you,
    May the wind be always at your back.
    May the sun shine warm upon your face,
    The rains fall soft upon your fields.
    And until we meet again …
    Aber er schaffte nur die ersten Zeilen. Dann brauchte er seinen ganzen Atem, um den Hügel hinaufzurennen.
    Er hatte sich tausendmal vorgestellt, wie es sein würde, wenn er sie wiedersah. Dass sie vielleicht erst mal abweisend sein würde, aber dann doch einsehen würde, dass sie ihn immer schon geliebt hatte. Dass er ihr alles erklären würde … Aber als er sie nun sah, im Schneidersitz unter dem Orangenbaum, die roten Locken mit einem lila Tuch zusammengebunden, fragte er sich, was er sich da bloß zusammenfantasiert hatte. Warum sollte jetzt alles anders sein als beim letzten Mal, als sie sich gesehen hatten? Nur weil zwischendurch die Welt untergegangen war?
    Seine Hoffnungen kamen ihm plötzlich lächerlich vor. Aber er konnte nicht umkehren. Egal, ob sie ihn anschrie oder auslachte: Er würde nicht gehen, bevor sie sich angehört hatte, was er zu sagen hatte.
    Da bemerkte Celie ihn und erstarrte und Alex blieb wie angewurzelt stehen. Und dann sprang sie auf und lief ihm entgegen! Sie warf sich in seine Arme, lachte und weinte und küsste ihn. Nach einer Schrecksekunde küsste er sie auch. Und dann war es wie, wie … Es war genau so, wie er es sich in seinen Wunschträumen immer vorgestellt hatte. Nur viel schöner.
    Bernie hatte nur kurz gezögert, in Jennas Kladde zu lesen. Sie hatte vor allem private Notizen gemacht, aber es stand auch etwas über ihre Forschungen darin. Vielleicht fand er ja etwas, das bei der Wiederherstellung der Tore helfen konnte?
    18. August 2031
    Felix ist tot.
    Er ist am 12. August von der Nordkoreanischen Volksarmee erschossen worden, als er versuchte, ein freies Tor in Nordkorea zu installieren.
    Die ganze Welt trauert um ihn. Um den Mann, der ihnen die Tore geschenkt hat.
    Auch wenn ich ihn eigentlich schon vor langer Zeit verloren habe, bin ich wie gelähmt. Dabei muss ich stark sein. Sonst verliere ich meine Tochter auch noch.
    Ich weiß nicht einmal, wo Celie jetzt ist.
    12. August 2034
    Heute vor drei Jahren ist Felix gestorben. Unser Leben hat sich seitdem auf eine neue, grässliche Normalität eingependelt. Aber ich weiß nicht, wie ich das ändern kann.
    Ich hatte gehofft, Celie über den Tod ihres Vaters hinweghelfen zu können. Aber ich bin wohl keine so gute Mutter, wie ich es gern wäre. Gut möglich, dass ich auch deshalb gescheitert bin, weil ich meiner Tochter kaum noch in die Augen sehen kann seit Felix’ Tod. Dabei würde mir niemand seinen Tod vorwerfen. Außer mir selbst. Und Celie.
    Seit Felix gestorben ist, hat sie sich von mir abgewandt. Und sie hat sich verändert. Sie spricht kaum noch mit mir, beamt ständig durch die Weltgeschichte, ist mit Typen zusammen, die bei mir alle Alarmglocken schrillen lassen, und kommt nur noch nach Hause, wenn sie Lust dazu hat. Ich habe keine Ahnung, wo sie sich herumtreibt und was sie macht. Aber wenigstens geht sie zur Schule. Das weiß ich, weil sie mir jedes Halbjahr wortlos ihr Zeugnis vor die Nase hält. Als wenn mir ihre guten Noten wichtig wären!
    Aber solange sie Alex und ihre Musik hat, wird sie nicht abstürzen. Daran glaube ich fest. Und dieser Gedanke hält mich aufrecht, wenn ich nach

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