Als die Welt zum Stillstand kam
Elend vor ihm saß.
Bernie, der nie weinte. Der alles immer logisch betrachtete. Der mit Gefühlen wenig am Hut hatte. Wenn Bernie schon aufgab, dann hatte Alex erst recht keine Chance. Und das durfte nicht passieren.
Er räusperte sich. »Hey, du Muppet, du gibst jetzt sofort zu, dass das Quatsch ist, von wegen: Alle, die ich kenne, sind tot. Mich kennst du doch auch. Seh ich vielleicht tot aus? Und sag jetzt ja nichts Falsches!«
Zuerst schluchzte Bernie einfach weiter. Doch dann schaute er auf und sagte: »Na ja, du könntest mal wieder duschen. Und ein Friseur würde dir auch nicht schaden.«
»Danke, gleichfalls!«, sagte Alex mit gespielter Empörung.
Die beiden vermieden es, sich anzusehen. Schließlich sagte Bernie: »Ist das da Giersch?« Sie pflückten ein paar Kräuter, dann gingen sie zurück zu den anderen.
Der Rest der Welt
Bristol, am Hafen
Gebratener Fisch und Urin. Was für ein ekelhafter Gestank! Wo war sie? Und was wollte sie hier? Da waren Boote auf dem Wasser. Der Hafen. Was machte sie am Hafen?
Sie tastete nach dem Krimi in ihrer Manteltasche. Genau. Sie hatte ihn nur eben geholt und jetzt musste sie zurück zu Marlene. Die Kleine hatte zwar geschlafen, als sie weggebeamt war, um das Buch zu holen. Aber wer weiß, wie lange …
Sie stolperte und stützte sich im letzten Moment an einem Poller ab. Ihr war schwindelig und sie fror. Sie zog ihren blauen Mantel enger um sich. Moment, das war nicht ihr Mantel! Er sah so aus wie ihrer, aber dieser hier war ganz schmutzig. Und viel zu weit war er auch. Aber vielleicht war es ja doch ihr Mantel und sie hatte nur etwas mit den Augen? Ihre Hände sahen nämlich mit einem Mal auch ganz fremd aus. Viel zu knochig, mit dünner Haut, die Falten schlug.
Mühsam schleppte sie sich zum nächsten Tor. Das musste aber dringend mal wieder gewartet werden! Die Tür hing schief und drinnen herrschte ein schreckliches Durcheinander.
Sie hielt inne. Da war was passiert mit den Toren. Sie hatte nur eben den Krimi … Die Tore, sie waren ausgefallen! Panisch lief sie zum Wasser hinunter. Sie musste sofort nach Kanada. Wie lange war Marlene schon allein? Zwei Stunden? Einen ganzen Tag?
Ein Schiff. Sie brauchte ein Schiff.
Am Wasser standen Männer an Tischen und verteilten Fahrkarten. Da, der mit der weißen Mütze und den großen braunen Augen sah vertrauenswürdig aus. Sie drängte sich zu seinem Tisch vor.
»Ich brauche eine Überfahrt …«
»… nach Kanada, ich weiß«, unterbrach der Mann sie. Ein bisschen Höflichkeit hat noch keinem geschadet, wollte sie sagen, aber er ließ sie gar nicht zu Wort kommen.
»Ich hab’s dir gestern gesagt, ich hab’s dir vorgestern gesagt und jeden verdammten Tag in den letzten Wochen: Hier fährt niemand nach Kanada! Wir haben nur kleine Boote hier, keins, das eine so weite Fahrt wagen würde. Wann kapierst du das endlich?« Dann schob er sie einfach zur Seite und redete mit einem jungen Paar.
Sie sah sich um. Wo war eigentlich Marlene? Sie hatte sie doch nur ganz kurz aus den Augen gelassen, um ihr Buch zu holen. Da konnte die Kleine doch nicht verschwunden sein!
Und dann entdeckte sie sie. Friedlich schlafend in ihrer tragbaren Schlafschale. Gott sei Dank. Sie hatte die Kleine gar nicht in Kanada gelassen. Natürlich nicht. Sie hatte sie mitgenommen. Genau. So war es gewesen.
Sie hob die Schlafschale vorsichtig hoch und ging davon. Als sie nach einer Weile hinter sich Geschrei hörte, beschleunigte sie ihre Schritte. Das fiel ihr schwer, aber sie wollte nicht, dass diese schreienden Menschen ihre Marlene aufweckten. Ein bisschen Rücksicht auf ein schlafendes Kind, das war doch wohl nicht zu viel verlangt!
Peru, im Regenwald
Fertig. Stolz betrachtete Imasu seinen dritten Pfeil. Er sah schon viel besser aus als die zwei anderen, die er geschnitzt hatte. Den sollte Uchu mal sehen! Uchu hatte Imasu ausgelacht, als er zu seiner Prüfung aufgebrochen war. Hatte gespottet, dass Imasu nicht mal ein Faultier erlegen konnte, wenn es ihm vom Baum vor die Füße fiel. Aber Uchu würde schon sehen. Heute Abend würde Imasu ein Wildschwein über dem Feuer braten.
Oder doch zumindest ein Kaninchen.
Jetzt brauchte Imasu nur noch die Papageienfeder am Schaft des Pfeils zu befestigen. Gut feststecken … Es knackte, dann brach der Schaft ab.
Imasu runzelte die Stirn. Erst wollte er schreien vor Wut, aber das war kindisch. Und er war bald ein Mann. Darum legte er nur den Pfeil beiseite und griff nach einem neuen Ast.
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