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Als die Welt zum Stillstand kam

Als die Welt zum Stillstand kam

Titel: Als die Welt zum Stillstand kam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Neumayer
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uns beide mitnehmen.«
    Erwartungsvolle Stille senkte sich über die Gruppe. Alle außer Bernie sahen Ruben an. Der machte eine wegwerfende Handbewegung, drehte sich um und sagte: »Dann komm, plasta 11) .«
    11) plasta: Nervensäge (span.)
    »Mierda! Du bringst mich noch um!«
    Ruben saß mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Asphalt und funkelte Alex an, als wollte er tödliche Laserstrahlen aus seinen schwarzen Augen abschießen.
    »Stell dich nicht so an«, sagte Alex gelassen. Er wickelte den Verband ein letztes Mal um Rubens Stirn, dann knotete er die Enden fest.
    »Aua! Pass doch auf!«
    »Wenn du weiter so laut schreist, denken die anderen noch, du wärst ein blandengue 12) .«
    12) blandengue: Weichei, Schlappschwanz (span.)
    Als sie sich vor einer Woche kennengelernt hatten, hätte Ruben ihn für so eine Beleidigung erstochen. Jetzt stöhnte er nur. »Wir hätten euch einfach beklauen sollen und fertig. Aber nein, ich und mein weiches Herz!«
    Alex lachte. »Ich erwarte dich morgen früh zum Verbandswechsel.«
    Ruben knurrte und schlenderte davon.
    »Und wie geht es Ihnen heute, Frau Kanowski?«, fragte Alex seine nächste Patientin.
    »Es muss«, ächzte sie und hielt ihm ihr entzündetes Bein vor die Nase.
    Nachdem er Salbeisud auf die Entzündung getupft hatte, schaute Alex zu Bernie hinüber, der Carmen gerade vom Roachy herunterhob.
    »Noch mal!«, rief sie.
    »Nachher darfst du noch mal«, vertröstete Bernie sie. »Jetzt ist es Zeit, mit deiner Tante Lucia zu sprechen.«
    »Au ja!«, kreischte Carmen und rannte los, um allen Bescheid zu sagen.
    Kurz darauf hatten sich alle bis auf diejenigen, die Wache hielten, um Bernie und sein Funkgerät versammelt und unterhielten sich auf Spanisch mit Tante Lucia und Onkel Pablo, die vor einer Weile zurückgeblieben waren, weil Lucia wegen ihrer Arthrose nicht mehr weitergehen konnte – und zwar bei Agathe und Nuray. Tante Lucia hatte eine Schwäche für Alex, obwohl sie sich nie begegnet waren. Nuray hatte ihr die Beinwellsalbe für ihre schmerzenden Gelenke gegeben, die Alex hergestellt hatte, und seit sie wusste, dass er mit ihrer Familie reiste, ließ sie ihm jedes Mal »muchos besos« 13) ausrichten.
    13) muchos besos: viele Küsse (span.)
    Seit ihrer Entführung durch Ruben hatten Bernie und Alex sich erstaunlich gut eingelebt. Alex wurde als »Heiler« geschätzt, aber das war nichts gegen den Ruf, den Bernie genoss: Die meisten Mitglieder der Gruppe betrachteten ihn tatsächlich als Zauberer. Er war nicht nur der Einzige, der den Roachy bewegen konnte. Er war auch der mit dem Funkgerät, durch das sie Kontakt zu Tante Lucia und Onkel Pablo halten konnten.
    Jemand anders als Bernie hätte sich auch kaum erlauben können, alle penetrant damit zu nerven, dass der Roachy bald ganz ausfallen würde, wenn er nicht Material zum Reparieren und für die aufwendige Wartung bekam. Auch wenn man Ruben ansah, dass er Bernie am liebsten verprügelt hätte, genehmigte er schließlich doch einen Abstecher in ein Industriegebiet. Die Gruppe hatte sich schon zu sehr daran gewöhnt, dass der Roachy ihr schweres Gepäck trug. In den verlassenen Gebäuden fand Bernie alles, was er für die Reparatur brauchte. Zusätzlich deckte er sich mit kistenweise Hightech-Zeug für die Wartung ein.
    Abgesehen von Ruben und seiner Schwester Carmen bestand die Gruppe noch aus sechs weiteren Mitgliedern der Familie Luengo, darunter vier Kinder. Sie waren auf dem Weg nach Frankreich, wo der Rest der Familie lebte.
    Außerdem gehörten dazu: Lila, eine Maklerin, die aus Bordeaux stammte und vor dem Torausfall auf Salzgebäck aus aller Welt spezialisiert gewesen war. Die Luengos hatten nicht nur ihre etwa hundert Pakete Cracker, Cantucci und Tortilla-Chips aufgenommen, sondern auch Lila selbst – weil Carmen Rotz und Wasser geheult hatte, als Ruben Lila zurücklassen wollte. Dann war da Frau Kanowski, eine Migrationsmanagerin aus dem Ruhrgebiet, die zwar keine Angehörigen dort hatte, aber »aus sprachlichen Gründen« zurück in den »Pott« wollte. Sie war ein Organisationsgenie und behielt jederzeit den Überblick über die Vorräte der Gruppe, die sie mit eiserner Hand verwaltete. Vier Klempner aus einem Betrieb in Antwerpen hatten sich den Luengos ebenfalls angeschlossen. Sie hatten zwar keine Vorräte und nicht einmal Werkzeuge mitgebracht, weil sie nur kurz wegen einer Schulung in Berlin hatten sein wollen, aber sie waren allesamt groß und kräftig und für den Schutz der Gruppe

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