Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
Sie mir näher erklären«, schnauzte mich der Beamte gereizt an, »Sie glauben, Flüchtling zu sein, nur weil Sie von Dresden wieder zurückgekommen sind?«
Ich schilderte ihm, dass ich alles verloren hatte und nun auf die Hilfe meiner Angehörigen angewiesen sei.
»Dafür gibt es keine Unterstützung«, ereiferte sich der Beamte und meinte, mich geringschätzend ansehend, »Sie hätten doch sicher da bleiben können, wo Sie hergekommen sind!« Dieser Pfeil saß sehr tief. Es hätte nicht noch deutlicher ausfallen können, wenn er mir gesagt hätte, Sie hätten bleiben sollen, wo der Pfeffer wächst.
Ohne mich zu verabschieden, verließ ich den Raum, mit dem großen Wunsch in meinem Innern, nie mehr bei einer Behörde oder einer Bank um etwas bitten zu müssen.
Kurt sagte mir einmal, und das hat mich mein Leben lang begleitet: Verlass dich nie auf etwas, du bist sonst verlassen!
12
Mein Bemühen, eine Arbeit zu finden, blieb lange ohne Erfolg. Dementsprechend bedrückt war auch meine Stimmung, Großmutter und Großvater versuchten immer wieder, mich zu trösten.
»Es wird schon werden, Hansli, es muss sich halt alles erst einmal einspielen, noch sind ja wir da, du bist nicht allein.« Aber ich fühlte mich völlig verlassen, meine Freunde hatte ich verloren, schmerzlich vermisste ich das kleine Häuschen und vor allem Karl.
Oft weinte ich mich in den Schlaf und ich wünschte mir, ich könnte einfach mit Karl neu anfangen. Aber es half nichts, diesen Gedanken nachzuhängen, das Leben ging weiter, nur jetzt in eine ganz andere Richtung. Anders, als ich es mir gewünscht hatte.
Es war mir einfach noch nicht möglich, mich der Realität zu stellen. Ein merkwürdiges Gefühl beherrschte mich, als existiere ich auf einer ganz anderen Ebene als der Rest dieser Welt. Doch es kam Hoffnung auf, als von Tante Ines ein kurzer Brief kam, in dem sie mich einlud, auf den Feldberg zu kommen. Vielleicht, so meinte sie, würden mir ein bisschen Ferien jenseits von allem gut tun.
Es war Mitte September 1945, wir legten für meine Anreise den Tag fest, an dem ein Bus von Todtnau bis Bärental fuhr. Die Haltestelle Feldberg–Hebelhof war für mich Endstation, danach begann ein Fußmarsch von ca. 45 Minuten in Richtung Herzogenhorn. Fast alles, was ich inzwischen wieder besaß, packte ich in den Rucksack und eine große Tasche, so auch den neu angefertigten Mantel, geschneidert aus dem Offiziersmantel, meine lange Tuchhose, die ich meist auf der Flucht getragen hatte, und einen warmen Pullover von Kurt. Großmutter gab mir für Tante Ines zwei Gläser selbst gemachte Marmelade und sogar frische Bohnen, die es noch im Garten gab, mit. Allzu lange wollte ich aber nicht auf dem Berg bleiben, der Winter begann oft sehr früh. Wenn erst einmal Schnee lag, würde es für mich sehr schwierig werden, vom Herzogenhorn ins Tal zu kommen. Skilaufen war absolut nicht meine Stärke, meist ging es nicht ohne Sturz ab, und wenn ich absolut nicht mehr weiterwusste, fuhr ich einfach los, meist mit gespreizten Beinen, um in einer Tanne zu landen, die mir im Wege stand.
Aber vorerst hieß mein Ziel ›Feldberg‹. Tante Ines bereitete ein herrliches Fettgebäck zu, auf das ich mich sehr freute und an das ich mich bis heute erinnern kann. An diesem Vormittag schwammen mehr Teilchen im Fett als sonst, so kam es mir jedenfalls vor, sicher hatte sie für mich eine größere Menge einkalkuliert. Aber nein, diese Menge war nicht mir zugedacht, ich beobachtete, wie Tante Ines einen Teller belegte und sorgfältig mit Pergamentpapier umwickelte. Mein erstaunter Blick ließ sie schmunzeln.
»Hast du Lust, einen sehr interessanten Mann kennenzulernen? Dann besuchen wir ihn heute am Nachmittag, er wohnt in der Nähe des Feldberger Hofes. Nach dem Essen machen wir uns auf den Weg, er hat immer aufregende Dinge zu erzählen. Ehe es dann anfängt zu dunkeln, können wir wieder auf dem Horn sein.« So oft ich auch schon zu Besuch auf dem Feldberg war, das große Haus, an einem Hang gelegen, war mir bisher nie aufgefallen. Von der Landstraße aus ging eine groß angelegte Auffahrt direkt bis zu der breiten Treppe, die zur imposanten Eingangstüre führte, seitlich davon war eine unscheinbare Tür für Lieferanten und Personal, wie es in den Vorkriegszeiten üblich war. Tante Ines wusste Bescheid, sie klopfte an die kleinere Eingangstüre mit dem Holzhammer, der daran befestigt war, ziemlich heftig an. Es dauerte eine Weile, bis uns die Türe von einem
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