Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
dass ich für die Menschen hier nur mehr eine Fremde war. Gewiss, man tat für mich, was möglich war, sogar für Onkel Roland, der nun endgültig im Haus meiner Großeltern mit Tante Miriam lebte, schien ich nicht mehr der kleine Bastard zu sein, wie er mich als Kind so gerne nannte. Er war freundlich, fast zu freundlich. Aber nichts war mehr so wie früher.
Auch die kommenden Ereignisse trugen nicht gerade dazu bei, meine Stimmung zu heben. Und es wurde mir immer klarer, dass ich so schnell wie möglich eine Arbeit finden musste.
Doch das war schwierig, denn in erster Linie bekamen Heimkehrer, wenn auch nicht ihren alten Arbeitsplatz, so doch einen angemessenen Ersatz. Für die freien Stellen fehlten mir Ausbildung und Erfahrung. Die Grenze zur Schweiz war noch dicht, diese Möglichkeit entfiel damit ganz.
Mein Bargeld schrumpfte, Lebensmittel auf dem Schwarzen Markt zu organisieren, war verboten und überdies sehr riskant. Außerdem waren die Preise schwindelerregend hoch. Also beschloss ich, zur Dresdner Bank zu gehen und von einem Sparbuch Geld abzuheben. An der Kasse sah mich der Kassierer an, als sei ich von einem anderen Stern. Er nahm das Sparbuch und bat mich, einen Moment zu warten, dann kam er mit seinem Vorgesetzten zurück. Ich hatte mir vorgestellt, von dem Guthaben des einen Sparbuchs ein Konto einzurichten, um hin und wieder etwas abheben zu können. Das zweite Buch wollte ich nicht angreifen, zumindest vorerst nicht. Der Sparkassenleiter sah mich an und grüßte knapp.
»Das Buch wurde in Dresden angelegt?«
»Ja«, antwortete ich, »das andere hier habe ich aus Hamburg, beide wurden bei der Dresdner Bank eröffnet.«
»Was sollen wir damit anfangen?«, kam die spitze Frage.
»Ich möchte gerne etwas abheben und mit dem Rest ein Konto anlegen.«
»Und Sie dachten, das geht so einfach?«
»Ich dachte, es sei möglich, ich bin kürzlich von Dresden zurückgekommen«, erklärte ich, inzwischen wegen seiner Reaktion sehr verunsichert.
»Was Sie so dachten, ist leider nicht machbar, mit den Sparbüchern können wir hier nichts anfangen«, lautete seine lapidare Auskunft.
»Was kann ich da machen?«, fragte ich völlig entgeistert.
»Was Sie damit machen, ist Ihre Sache, stecken Sie sich die Bücher an den Hut oder sonst wohin!«, fauchte er mich an und wandte sich, leise vor sich hin schimpfend, ab.
Mir verschlug es einfach die Sprache, wie konnte man einen Menschen nur so abfertigen? Wie hatte ich auf diese Bücher aufgepasst, sie hatten mir ein wenig Sicherheit gegeben und das Gefühl, nicht von der Familie abhängig zu sein. Wie sollte ich neu beginnen mit leeren Händen? Mutter hatte Sorgen, für die kleine Schwester genügend Milch oder Obst aufzutreiben, Gries und Maizena waren nötig, um Kinderbrei kochen zu können. Ich hatte gehofft, mit meinem Geld Positives zum Unterhalt der Familie beisteuern zu können.
Ein früherer Kollege von Kurt kam auf einen Plausch zu uns. Er arbeitete nun bei einer Behörde im Rathaus und war mit den Anträgen vertraut, die Vertriebene aus den Ostgebieten stellen konnten. Sie bekamen einen so genannten Lastenausgleich. Dieser konnte die wirtschaftlichen Schäden nicht ausgleichen, sondern war eher symbolisch, als seelische Unterstützung, gedacht. Er ließ sich meine Geschichte erzählen, unter anderem auch, was mir kürzlich auf der Bank passiert war. Darauf meinte er, ich solle doch einmal auf das Rathaus kommen und mich beraten lassen, vielleicht konnte ich ein Überbrückungsgeld bekommen, das ich eventuell, wenn ich Arbeit gefunden hatte, zum Teil zurückerstatten musste. Nach der Niederlage in der Bank war ich völlig mutlos, vor allem wollte ich nicht noch mehr Enttäuschungen kassieren, es waren schon genug.
»Versuch es doch einfach«, war die allgemeine Ansicht, also versuchte ich es eben.
Die Anträge wurden in alphabetischer Reihenfolge abgearbeitet, dafür standen vier Zimmer zur Verfügung, und als ich nach längerem Warten an der Reihe war, wurde ich sofort gefragt, woher ich kam und weshalb der Antrag gestellt wurde. Mein Schulausweis lag vor dem Beamten auf dem Schreibtisch. »Wenn Sie Lebensmittelkarten abholen wollen, müssen Sie im ersten Stock nachfragen«, versuchte er sofort, mich abzuwimmeln. »Nein«, klärte ich ihn auf, »ich möchte einen Antrag stellen.«
»Wofür einen Antrag, sind Sie Flüchtling?«
»Gewissermaßen schon«, sagte ich, »zwar bin ich hier geboren, aber von Dresden hierher geflüchtet.«
»Das müssen
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