Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
meine Habseligkeiten bei ganz fremden Menschen abgestellt hatte. Ohne Passierschein konnte man die Stadtgrenze nicht überschreiten, überall waren Schlagbäume und Kontrollen. Zum Glück aber hatte ich noch den Passierschein, Kurt meinte, wenn er den Franzosen alles erklärte, würden sie uns passieren lassen. So machten wir uns auf den Weg und marschierten die fünf Kilometer nach Nollingen. Am Ortseingang standen zwei Wachen, Kurt erklärte ihnen die Sachlage und zeigte den Passierschein mit dem Schreiben des Kommandanten aus Lörrach. Nach schier endlosem Hin und Her durften wir endlich passieren. Bei einem Dorfbewohner, der uns entgegenkam, erkundigten wir uns nach dem Hof und nannten den Namen. Die Angaben von Martin waren korrekt, ein Landwirt stand auf dem beschriebenen Hof, mit einer Schubkarre und einer Mistgabel beschäftigt. Kurt sprach ihn an, wir hatten vorher ausgemacht, dass er für mich sprechen wolle. Ganz freundlich erklärte Kurt die Zusammenhänge, mit meinem Ausweis in der Hand, falls es nötig wurde, ihn zu zeigen. Prompt, ohne ihn ausreden zu lassen, fiel der Landwirt Kurt ins Wort und beteuerte wortreich, dass bei ihnen kein Koffer abgegeben wurde.
Nun meldete ich mich zu Wort. »Das kann aber nicht sein, hier auf dem Zettel steht Ihr Name, Ihre Adresse, der Transporter hat am gestrigen Nachmittag hier angehalten, um dann in Richtung Waldshut weiterzufahren. Ein ehemaliger Schulkamerad ist hier abgestiegen, um dann den Rest des Weges zu Fuß zu gehen.«
»Wie kommt er dazu, so etwas zu behaupten?«, steigerte der Landwirt sich in seinen Zorn hinein. Kurt versuchte, ihn zu beruhigen, und fragte, ob vielleicht jemand aus der Familie den Koffer angenommen haben könnte und der Bauer solle doch, bitte, einmal nachfragen.
Die Sache eskalierte, als eine ältere Frau, scheinbar durch den lautstarken Wortwechsel aufmerksam geworden, auf den Hof trat. Immer noch stark erregt, erzählte ihr der Bauer, um was es ging.
»Wie kann man nur so niederträchtig sein und so etwas behaupten?«, schrie die Frau uns an. »Machen Sie nur, dass Sie von unserem Hof kommen, sonst, sonst … «
»Was – sonst«, schleuderte Kurt ihr entgegen, »glauben Sie etwa, wir wollen Ihnen etwas unterstellen? Wir sind den Angaben nachgegangen, die uns gemacht wurden, doch scheinbar sind wir an eine ganz falsche Adresse geraten.« Wir traten also unverrichteter Dinge den Heimweg an. Kurt unterhielt sich auf dem Rückweg mit den Wachposten und schilderte das Geschehen. Ich verstand zwar kein Wort, sah aber, wie sie ihre Köpfe schüttelten und ihr Missfallen zum Ausdruck brachten.
Und wieder einmal stand ich so ohne alles da, zu kaufen gab es nichts, was sollte ich nun machen?
Zunächst ging ich zu Tante Nina, die etwa 200 Meter von uns entfernt wohnte, der Weg führte über den Dürrenbach hinweg, von da hatte man das Haus schon im Blick. Ihr Mann, Onkel Stephan, wurde vermisst, meine kleine Cousine, inzwischen acht Jahre alt, konnte sich an ihren Vater kaum erinnern. Tante Hilda wohnte bei Nina, die beiden Schwestern meiner Mutter hatten sich in den Kriegsjahren gegenseitig geholfen. Schon während meiner Kindheit hatten sie mich immer lieb umsorgt, und noch jetzt fühlte ich mich in ihrer Gegenwart geborgen und zu Hause. Die beiden Tanten hörten sich meine Sorgen an und versprachen mir, alles zu tun, um mich zu unterstützen. So wurde als Erstes mein Kleiderproblem gelöst. Bald hatte ich Umgeändertes, Gekürztes, Gewendetes, nur für Schuhe gab es keine zufriedenstellende Lösung.
Die Frage, was ich nun unternehmen wollte, wurde langsam brisant, schließlich wurde ich im November 1945 19 Jahre alt.
Bei so vielen Vorschlägen ging mir auch durch den Kopf, dass Onkel Herrmann mir damals, ehe ich nach Niederau ging, das Angebot gemacht hatte, er könnte mich in seinem Labor als Lehrling unterbringen, danach, wenn ich noch Lust darauf hätte, könnte ich bei ihm als Laborantin arbeiten. Bei einem Besuch bei Tante Wilhelmine und Onkel Herrmann bat ich ihn, ob er sich meiner annehmen könne, zwar hätte ich nicht sehr lange die Chemie–Bakteriologie–Schule besucht, aber dabei doch festgestellt, dass es mir Freude machte.
Onkel Herrmann sah mich an und kniff die Augen zusammen.
»Ja, damals hätte ich dir geholfen und dich untergebracht, aber jetzt tu ich das nicht mehr.«
Nicht die Absage selbst traf mich so, die Art war es, wie er mir das sagte und mich dabei ansah. Niedergeschlagen musste ich mir eingestehen,
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