Als es Nacht war in Dresden: Roman (Frauenromane) (German Edition)
Im Vorgarten des Hauses standen Mutter und Kurt und scheinbar warteten sie schon auf mich. Also hatte der Nachrichtendienst doch geklappt. Alles war so verändert, statt der Blumen im Vorgarten wuchsen Gemüse und Kartoffeln, sogar ein paar Zuckerrüben gab es. Mutter kam auf mich zu und umarmte mich, es wurde kein Wort gesprochen. Kurt kam, stellte sich hinter mich, so wurde ich in der Mitte umarmt und begrüßt.
»Ich habe Tee aufgebrüht, Frau Köhler hat zwei Eier für dich gebracht, für Spiegeleier, du musst doch bestimmt hungrig sein«, meinte meine Mutter.
»Müde, Mariechen, sehr müde bin ich«, seufzte ich nur.
»Ich wusste, dass du hierher unterwegs bist, stell dir vor, ich war mit Anni, einer Freundin meiner Mutter, bei einer Kartenlegerin, sie sagte mir, dass du den halben Weg hinter dir hast.«
»So«, war meine Antwort. »Das muss demnach vor sechs Wochen gewesen sein.« Mutter sah mich an und schwieg. »Ist bei den Großeltern auch alles in Ordnung?«, fragte ich plötzlich ängstlich.
»Ja, es ist alles gut«, beruhigten mich die beiden, »aber jetzt ruhst du dich erst einmal aus. Hast du sonst kein Gepäck?«, wunderte sich Kurt.
»Doch«, erklärte ich, »ein ehemaliger Klassenkamerad hat meinen Koffer an sich genommen, morgen werde ich mich darum kümmern. Meine kleine Schwester habe ich ja schon begrüßt, dann habe ich das Wichtigste für heute erledigt. Nun freue ich mich auf mein Bett.«
In meinem Zimmer war einiges verändert, ein Wickeltisch befand sich darin, ein kleines Kinderbett stand dem meinen gegenüber an der Wand. In diesem kleinen Bett waren bereits meine Mutter und ihre Schwestern gelegen, danach wurde es für mich neu hergerichtet und zuletzt für zwei Cousinen von mir.
Eigentlich wäre ich die erste Nacht gerne allein gewesen, um meine Gedanken zu ordnen, mich an die Umgebung meiner Kindheit zu gewöhnen. So einfach ist das aber nicht, sich in ein Bett zu legen, das einem vertraut ist, in dem man Träume hatte, etwa, wie schön es sein würde, wenn man erst einmal erwachsen war.
Diese neuen Träume, die mich nun so oft quälten, waren schrecklich. Ewig auf der Flucht, ohne Ziel, Häuser brennen, Menschen schreien um Hilfe. Einmal wurde ich im Traum sogar von einem Panzer überrollt. Kurt kam dann immer an mein Bett, wenn ich in der Nacht laut schrie und tobte. Es gelang ihm immer, mich zu beruhigen, und er redete leise auf mich ein. »Alles ist jetzt gut, du bist zu Hause, wir sind bei dir.« Meine kleine Schwester wurde umgesiedelt in das elterliche Schlafzimmer, so wurde sie wenigstens nicht gestört, wenn mich meine Albträume peinigten.
Meine Großeltern waren, wie ich fand, die Alten geblieben. Sie waren überglücklich, als ich einen Tag später bei ihnen anklopfte. Großvater sprach nicht viel, umso mehr leuchteten seine großen Augen, sein kurz gestutztes Haar war noch immer ohne ein Grau. Großmutter dagegen war weißhaarig, genau wie Kurt, ich war erschrocken, als ich ihn sah. Sein einst so blond gelocktes Haar, es war zwar noch füllig, aber schneeweiß. Hier hatte der Krieg seine deutlich sichtbaren Spuren hinterlassen.
Als die Franzosen meine Heimat besetzten, kam Kurt mit vielen anderen aus unserer Gegend in ein Lager. Sie wurden verhört, mussten Aufräumarbeiten verrichten usw. Es war kein leichtes Leben. Nachdem die Besatzer registriert hatten, dass sein Geburtsort Freiburg und seine Muttersprache Französisch war, setzten sie ihn als Dolmetscher ein. So war Kurt beim Ausstellen von Entlassungspapieren behilflich und auch, wenn es darum ging, herauszufinden, woher die Landser kamen, wohin sie wollten, wo ihre Angehörigen lebten.
Die ehemaligen Soldaten schliefen im Freien, bei Wind und Wetter. Kurt bekam von den Franzosen den Mantel eines deutschen Offiziers, um sich nachts zuzudecken. Die Uniformen der deutschen Offiziere waren in einem schönen Blaugrau, aus gutem Tuch, so auch dieser Mantel. Aus ihm nähte Onkel Roland mir später einen wunderschönen Wintermantel, den ich noch einige Jahre danach getragen habe.
Ich musste ja wieder ganz von vorne anfangen, nichts war mir geblieben. Am Tag nach meiner Rückkehr besuchte ich Martin, um meinen Koffer abzuholen, da gestand er mir, dass er ihn in Nollingen auf einem Bauernhof abgestellt habe, weil er das letzte Stück von Nollingen nach Rheinfelden zu Fuß gehen musste. Martin gab mir Name und Adresse und erklärte mir in etwa, wo dieser Hof zu finden sei. Es enttäuschte mich sehr, dass Martin
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