Als es noch Menschen gab - Roman - Meisterwerke der Science Fiction
verschlingen werden, wenn wir uns für jenen Pfad entscheiden. Und oft verfolgen die Zukunftsszenarien einfach den Zweck, der Gegenwart einen Zerrspiegel vorzuhalten, damit wir noch deutlicher sehen, was wir bereits sind.
Also, was sind wir?
Für Clifford D. Simak sind wir Mörder.
Er reibt es einem nicht unter die Nase. In den Geschichten in »Als es noch Menschen gab« kommt praktisch keine Gewalt vor, bloß ein bisschen Geballer hinter den Kulissen am Anfang, gefolgt von endlosen Jahrtausenden des Pazifismus. In einer Zukunft, in der es vor Robotern nur so wimmelt, findet sich kein einziger Terminator. Sogar die Fleischfresser werden schließlich von der Erleuchtung ereilt, weigern sich weiter zu töten – selbst wenn es um Nahrung geht – und versenken ihre Fangzähne lieber in Fleischersatz auf Hefebasis.*
* An dieser Stelle würde ich Simak tatsächlich seine Naivität zum Vorwurf machen: Eine komplette Biosphäre, in der alle Arten vegan leben, in der nichts irgendetwas tötet, in der sich Hunde und Eulen und Waschbären und Millionen anderer Spezies auf eine endlose Folge von Parallelwelten ausbreiten müssen, um ihre explodierenden Populationen auszudünnen? Als Mann, dem das Herz bricht, wenn eine seiner geliebten Katzen stirbt, dessen ver letzliche Seele nichts sehnlicher wünscht, als dass jedes Lebe wesen bis in alle Ewigkeit leben könnte, gefällt mir dieser Ge danke. Aber als Biologe kann ich nur sagen, dass diese Vorstellung mehr erfordert als ein bloßes Aussetzen des Zweifels – um das zu glauben, müsste man den Zweifel schon erhängen, ausweiden wie einen Fisch und anschließend in Stücke reißen.
Doch auf merkwürdige Weise geht es genau darum: Es gibt so wenig Gewalt in diesen Geschichten, weil es so wenig Menschen gibt. »Als es noch Menschen gab« handelt nicht von uns; es handelt von denen, die nach uns kommen. Die Tiere sind es, die sich gegen das Töten entscheiden. Die letzten Überbleibsel der Menschheit landen schließlich in der Quarantäne, damit sie nicht die Sanftmütigen kontaminieren, die die Erde besitzen. Und als dann doch, fast ganz am Ende, ein paar »Wilde« die Bühne betreten, bringen sie den Tod ins Paradies. Selbst die »Kobler« – Monster, die unterm Bett lauern und in den Lücken zwischen den Welten spuken – bibbern vor Angst, wenn sie mit dem leidenschaftlichen Hass der Menschheit konfrontiert werden.
Der Autor äußert sich durch eine seiner Kreationen, den Roboter Jenkins: »Der Mensch wird Pfeil und Bogen immer wieder erfinden, gleichgültig, was man dagegen tut.« Diese Einsicht wird in Simaks Idyllen eher »erzählt« als »gezeigt«, aber sie ist unübersehbar – und anders als die verfallenen Städte oder der felsige Jupiter hat sie ihr Verfallsdatum noch lang nicht erreicht.
Vielleicht genügt das nicht, um Simaks Zukunftsvision plausibel erscheinen zu lassen; offensichtlich befinden wir uns nicht auf dem Weg in eine Welt der Veganerwölfe und behaarten Marsianerphilosophen. Was die Zukunft der Menschheit betrifft, beweist »Als es noch Menschen gab« kaum hellseherische Fähigkeiten – aber wenn man die Zukunft des Genres betrachtet, sieht die Sache gleich ganz anders aus. Die Science dieser handgestrickten Lagerfeuererzählungen mag ziemlich erbärmlich sein, die Entwicklung der Science Fiction jedoch haben sie erstaunlich gut vorausgeahnt. Man muss gar nicht allzu angestrengt hinschauen, um die Vorläufer der »Aufstand der Tiere«-Thematik zu erkennen, die in den folgenden Jahrzehnten von Arthur C. Clarke, David Brin und Alan Dean Foster bearbeitet wurde. Simaks Vision von eingelagerten Menschen, die ihr Leben in frucht blasenartigen Tanks verträumen, nimmt den Film Matrix bereits ein halbes Jahrhundert zuvor vorweg. (Und das Bild einer Mutter, die sich eine »Traum kappe« aufsetzt, um ihre Familie zugunsten der virtuellen Realität zu verlassen, kommt einer Passage in meinem eigenen Roman »Blindflug« unangenehm nahe, obwohl ich hätte schwören können, dass ich diese Szene schon seit dreißig Jahren vergessen hatte, als ich das Buch schrieb.) Einmal taucht ein manipuliertes Kaleidoskop auf, eine zersplitterte Farbkaskade, die den Sehnerv entlanggleitet und das Hirn von Grund auf neu verdrahtet – und man hat das Gefühl, ein Kirchenfenster zu betrachten, auf dem Neal Stephensons Snow-Crash-Hirnvirus in Buntglas zu sehen ist. Juwains bewusstseinsverändernde Philosophie weist einige Ähnlichkeiten mit Samuel Delanys
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