Als es noch Menschen gab - Roman - Meisterwerke der Science Fiction
er eben. Für ihn ist ein Hase nur ein Stück Fleisch.«
Wie einst für uns auch, dachte er. Wie für uns, bevor sich der erste Hund zu einem Menschen an das Feuer am Höhleneingang setzte – und lange Zeit danach. Selbst jetzt ist ein Hase manchmal …
Der Wolf senkte langsam den Schädel, beinahe um Verzeihung bittend, und ergriff den Hasen. Sein Schwanz bewegte sich – es war fast ein Wedeln.
»Siehst du!«, rief Ebenezer, und der Wolf machte sich davon. Seine Beine zuckten, und zwischen den Bäumen verschwand sein grauer Schatten.
»Er hat ihn zurückgenommen«, regte sich Shadow auf. »Na, so ein gemeiner …«
»Aber er hat ihn mir zuerst geschenkt«, sagte Ebenezer triumphierend. »Er hatte solchen Hunger, dass er es nicht durchgehalten hat. Er hat etwas getan, was nie zuvor ein Wolf getan hat. Einen Augenblick lang war er mehr als ein Tier.«
»Schönes Geschenk«, beschwerte sich Shadow.
Ebenezer schüttelte den Kopf. »Er schämte sich, als er den Hasen wieder nahm. Du hast ihn mit dem Schwanz wedeln sehen. Damit erklärte er es mir – erklärte mir, dass er hungrig sei und Nahrung brauche. Dringender als ich.« Der Hund starrte in die grünen Korridore des Märchenwaldes, roch den Geruch fallender Blätter, den zu Kopf steigenden Duft der Blumen, den kurzen, scharfen Dunst neuer Blätter, den Wald im ersten Frühling. »Eines Tages vielleicht …«
»Ja, ja, ich weiß«, sagte Shadow. »Eines Tages lassen sich vielleicht auch die Wölfe zivilisieren. Und die Hasen und die Eichhörnchen und alle anderen wilden Wesen. Wie ihr euch manchmal in Fantasiegebilden verliert …«
»Das ist keine Fantasie«, erwiderte Ebenezer. »Träumerei, vielleicht. Die Menschen haben auch geträumt. Sie saßen herum und dachten sich alles Mögliche aus. So war es. Ein Mann namens Webster dachte sich uns aus. Er gab sich mit uns ab. Er veränderte unsere Kehlen, damit wir sprechen konnten. Er stellte Linsen für unsere Augen her, damit wir lesen konnten. Er …«
»Die Träumerei hat den Menschen ja sehr viel eingebracht«, sagte Shadow mürrisch.
Das ist wahr, dachte Ebenezer. Es gibt nicht mehr viele Menschen. Nur die Mutanten in ihren Burgen, die weiß der Himmel was treiben, und die kleine Kolonie von Menschen, die noch in Genf lebt … Die anderen waren vor langer, langer Zeit auf den Jupiter umgezogen und hatten sich dort in Wesen verwandelt, die nichts Menschliches mehr an sich hatten.
Ebenezer drehte sich langsam um und trabte den Weg hinunter.
Schade um den Hasen, dachte er. Er hatte so gut laufen können. Und eigentlich hatte er gar keine Angst gehabt; Ebenezer hatte ihn oft gejagt.
Aber Ebenezer konnte trotzdem dem Wolf nicht böse sein. Für einen Wolf war ein Hase nicht einfach ein Wesen, dem man zum Vergnügen nachlief. Ein Wolf hatte keine Herden für Fleisch und Milch, keine Kornfelder für Mehl, um daraus Hundekuchen zu backen.
»Ich müsste eigentlich Jenkins melden«, murrte Shadow, hinter Ebenezer hertrottend, »dass du davongelaufen bist. Du weißt, dass du jetzt ›Hören‹ hast.«
Ebenezer erwiderte nichts. Shadow hatte natürlich Recht. Statt Hasen zu jagen, müsste er im Webster-Haus sitzen und hören , allem genau zuhören, was die Ohren auffingen – Geräuschen und Düften und Nähe und Entfernung. Wie wenn man sich auf einer Seite der Mauer auf die Vorgänge und Geräusche auf der anderen Seite konzentrierte, wenn sie auch leise und manchmal fern und schwer zu hören waren. Meistens verstand man sie überhaupt nicht.
Das ist das Tier in mir, dachte Ebenezer. Der alte flohjagende, knochennagende, in der Erde wühlende Hund, der mich nicht in Ruhe lässt – der mich hinaustreibt, hinter einem Hasen her, wenn ich eigentlich »Hören« hätte, der mich durch den Wald hetzt, obwohl ich die alten Bücher auf den Regalen im Arbeitszimmer lesen sollte.
Zu schnell, sagte er sich. Unsere Entwicklung ist viel zu schnell vor sich gegangen. Wir mussten zu schnell vorankommen.
Der Mensch hat Jahrtausende gebraucht, seine Knurrlaute in die Anfänge einer Sprache umzuwandeln. Jahrtausende, um das Feuer zu entdecken, und wieder Jahrtausende, um Pfeil und Bogen zu erfinden, Jahrtausende, um den Ackerbau zu lernen, Jahrtausende, um die Höhle gegen ein Haus einzutauschen, das er selbst gebaut hatte.
Aber in wenig mehr als tausend Jahren nach dem Tag, als wir reden lernten, waren wir auf uns selbst gestellt – abgesehen von Jenkins.
Der Wald wurde lichter, löste sich in krumme, einzelne
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