Als gaebe es kein Gestern
du?“, meinte sie skeptisch. „Also für meinen Geschmack sieht man auf dem Bild viel zu wenig von den Augen, als dass man das beurteilen könnte.“
„Nicht meine Augen“, flüsterte Livia geistesabwesend.
„Wessen Augen denn dann?“, erwiderte Frau Schneider nicht minder leise.
„Wenn ich das nur wüsste“, hauchte Livia. „Wenn ich das nur wüsste …“
❧
Als Livia eine gute halbe Stunde später nach Hause kam, sah sie schon vom Hof aus, dass im Wohnzimmer noch Licht brannte. Wahrscheinlich hatte Arvin auf sie gewartet, um ihr Spike zu übergeben. Schließlich kannte er ihren erklärten Wunsch, dass Spike die Nacht in ihrem Zimmer verbrachte und nicht in seinem.
Livia verabschiedete sich von Manfred, zückte ihren Schlüssel und betrat das Haus. Dann zog sie ihre Schuhe aus und steuerte aufs Wohnzimmer zu. Allerdings waren ihre Bewegungen heute ziemlich bedächtig. Und in ihrem Magen rumorte es wie nach einer Achterbahnfahrt. Es kam ihr so vor, als würde sie Arvin gleich zum ersten Mal begegnen, ja, als wäre er nicht mehr der, von dem sie sich vorhin verabschiedet hatte.
Als sie die Wohnzimmertür öffnete, fand sie sowohl Arvin als auch Spike schlafend vor. Arvin saß zusammengekauert auf dem Sofa, sein Kinn lag auf seiner Brust, seine Hände ruhten in Spikes Fell, so als hätten sie es eben noch gestreichelt. Spike selbst lag neben ihm, hatte aber den Kopf auf Arvins Schoß abgelegt.
Livia kam behutsam näher und spürte, wie sich in ihrem Nacken eine Gänsehaut bildete, die sich rasch über ihren gesamten Körper fortpflanzte. Dieses Bild berührte sie so sehr … es war so voller Harmonie, so voller Liebe und Frieden …
Sie sah in Arvins Gesicht. Wenn er schlief, wirkte er so entspannt, wenn nicht gar attraktiv …
Livia musste sich fast zwingen, nicht einfach die Hand auszustrecken und ihn zärtlich zu berühren. Ob es eine Möglichkeit gab, alles, was er erlebt hatte, einfach wegzulieben?
Noch während sie sich mit diesem Gedanken beschäftigte, hob Spike den Kopf. Durch die plötzliche Bewegung erwachte auch Arvin. Er schnellte so plötzlich in eine aufrechte Position, dass Livia unwillkürlich eine paar Schritte rückwärts machte.
„Warum schleichst du dich an?“, fauchte Arvin. Weil er noch nicht richtig wach war, nuschelte er ein bisschen.
Livias Blick verfinsterte sich. Anstatt zu antworten, dachte sie bitter: Weglieben , ja?
Arvin sah auf seine Armbanduhr. „Wo kommst du überhaupt jetzt erst her? Du hättest mir sagen können, dass du länger wegbleibst.“
Livia verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.“
„Mir nicht, aber vielleicht dem Hund“, gab Arvin unwillig zurück.
„Spike könnte problemlos ein oder zwei Stunden allein zu Hause bleiben. Was kann ich dafür, wenn du glaubst, ihn wie ein Kind verhätscheln zu müssen?“
Spike winselte unglücklich, so als hätte er bemerkt, dass sich Herrchen und Frauchen stritten.
„Ich verhätschele den Hund also wie ein Kind, ja? Und was ist mit dir? Wer kann denn keine einzige Nacht ohne Spike auskommen, hm?“
„Das bin ich!“, schrie Livia ungewohnt heftig. „Und das liegt daran, dass ich in einem Haus wohne, in dem es ansonsten nicht den Hauch von Nähe oder Geborgenheit gibt!“
Diese Worte schienen zu sitzen. Jedenfalls brachten sie Arvin umgehend zum Schweigen. Und als er gleich darauf nach seiner Brille griff und sie mit seinem Shirt putzte, wirkte das fast ein wenig verlegen.
Livia atmete einmal tief durch, um wieder runterzukommen. Dann sagte sie ruhig: „Komm, Spike, wir gehen schlafen.“
Spike erhob sich, machte aber keine Anstalten, vom Sofa zu springen.
„Komm, Spike“, wiederholte Livia schärfer.
Arvin hatte seine Brille inzwischen wieder aufgesetzt. „Geh“, sagte er und nickte dem Hund auffordernd zu. Das half. Spike sprang vom Sofa und trottete mit Livia in Richtung Tür. Als sie sie erreicht hatten, sagte Arvin: „Gute Nacht, Livia.“
Livia blieb stehen, drehte sich aber nicht wieder um. „Gute Nacht, Arvin.“
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Am nächsten Morgen wachte Livia davon auf, dass Spike am Ärmel ihres Schlafanzuges herumzerrte und dabei aufgeregt winselte. „Hey, was soll das?“, maulte sie ihn an. Sie war todmüde und hatte noch überhaupt keine Lust aufzustehen. Außerdem hatte sie rasende Kopfschmerzen. Der gestrige Tag war wohl doch zu aufregend gewesen. Warum also nicht ausschlafen?
Die nächste Empfindung war etwas Kaltes, Feuchtes, das wie
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