Als gaebe es kein Gestern
schloss die Haustür. „Ich hab deine Argumente gehört und berücksichtigt“, behauptete sie. „Aber es ist meine Entscheidung. Ich bin mit Arvin verheiratet. Nicht du.“
„Zum Glück!“, entfuhr es Gunda.
Livia musste grinsen. „Ja, zum Glück.“ Dann ging sie langsam auf Gunda zu, blieb auf der anderen Seite der Fahrertür stehen, schlang von dort aus ihre Arme um ihre Freundin und drückte sie ganz fest. „Ich will einmal tun, was richtig ist“, flüsterte sie ihr zu.
„Und ich will, dass du glücklich bist“, gab Gunda zurück.
„Aber das werde ich bei Arvin niemals sein!“, erwiderte Livia voller Eindringlichkeit.
„Deshalb habe ich dir angeboten, dass du bei uns wohnen könntest. Du weißt, dass Manfred nichts dagegen hat –“
„Gunda“, mahnte Livia, trat einen Schritt zurück und sah ihrer Freundin missbilligend ins Gesicht.
„Ja, ich weiß“, seufzte diese, „wir haben das hundertmal durchdiskutiert.“
Livia nickte, umrundete den Wagen, warf ihre Reisetasche auf den Rücksitz und ließ sich selbst auf dem Beifahrersitz nieder. Als sie sich angeschnallt hatte, musste sie feststellen, dass Gunda immer noch bewegungslos hinter der Fahrertür stand. Ein wenig irritiert sah Livia ein weiteres Mal auf ihre Uhr. „Schlägst du jetzt eine Verzögerungstaktik ein?“, erkundigte sie sich bei Gunda.
Diese stieß einen weiteren, abgrundtiefen Seufzer aus und stieg endlich in den Wagen. Als sie losgefahren war, murmelte sie: „Ich hab keine Ahnung, warum ich dich auch noch hinfahre.“
„Weil du meine Freundin bist“, antwortete Livia bestimmt.
Eine Weile konzentrierte sich Gunda nur auf den Verkehr. Sie fuhren durch ein Gewirr kleinerer Straßen und bogen dann auf eine Landstraße ab, auf der es lange Zeit nur geradeaus ging. Es fing ein bisschen an zu regnen, sodass Gundas Scheibenwischer in längeren Intervallen über die Windschutzscheibe quietschten. Nach einer Weile gelangten sie in ein Gewerbegebiet. Als die ersten Firmenschilder in Sicht kamen, fragte Gunda: „Warst du schon mal da?“
„In Arvins Firma, meinst du?“ Livia schüttelte den Kopf. „Nein. Er hätte es nicht gewollt. Ich glaube … na ja … er hat die Firma immer als Rückzugsort benutzt … vor mir, verstehst du? Ich glaube nicht, dass er mich dort hätte sehen wollen.“
Gunda schaltete mit einer etwas ärgerlichen Bewegung den Scheibenwischer aus. Anscheinend ging ihr das Gequietsche allmählich auf die Nerven. „Wenn er dich nur reden hören könnte“, seufzte sie.
Livia runzelte die Stirn. „Wie meinst du das?“
„Du kennst ihn so gut, Livia. Und du klingst …“ Sie seufzte tief. „Verstehen kann ich es nicht, aber manchmal macht es wirklich den Eindruck, als würdest du ihn lieben …“
Livia musste schlucken, sagte aber nichts dazu.
„Nun?“, hakte Gunda nach.
„Er liebt mich nicht“, sagte Livia mit fester Stimme. „Das ist das Einzige, worauf es ankommt.“
„Ja, leider“, seufzte Gunda und setzte den Blinker.
„Sind wir schon da?“
„Wir sind vorbeigefahren“, grinste Gunda und bog auf eine Einfahrt ab, um dort zu wenden. Dann deutete sie in die entgegengesetzte Richtung. „‚Scholl & Krantz‘ – das muss es wohl sein, nicht wahr?“
Livia starrte auf das Schild, das Gunda ganz offensichtlich meinte. Es stand am Straßenrand und enthielt gleich sechs Schriftzüge. Dementsprechend dauerte es einen Moment, bis Livia ungefähr mittig „Scholl & Krantz“ entdeckt hatte. Komisch, irgendwie hatte sie sich die Firma größer und bedeutender vorgestellt …
Gunda fuhr jetzt auf einen Hof mit großzügig angelegten Parkplätzen und stellte dort den Wagen ab. In dem Moment, in dem sie den Motor ausschaltete, schien eine ungewöhnlich tiefe Stille zu entstehen.
Lange Zeit sagten beide kein Wort. Schließlich brach Gunda als Erste das Schweigen. „Du verpasst deinen Termin“, sagte sie heiser.
„Ich kann nie wiedergutmachen, was ihr für mich getan habt, Gunni“, erwiderte Livia. „Wenn ich euch nicht gehabt hätte –“
„Hör bitte auf“, fiel Gunda ihr ins Wort. „Ich mag keine langen Dankesreden. Schreib mir einfach, okay? Auch wenn du Geld brauchst –“
„Ich hab sowieso noch Schulden bei euch!“, protestierte Livia.
Gunda wandte sich nach links und drückte die Verriegelung des Wagens. Mit einem Klacken bewegten sich alle Knöpfe nach unten. „Wenn du mir nicht versprichst, dass du mich im Notfall um Geld bittest, lass ich dich nicht gehen“,
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