Als gaebe es kein Gestern
sagte sie bestimmt.
Livia seufzte tief. „Ich verspreche es.“
Eilig entriegelte Gunda den Wagen. „Dann sieh zu, dass du hier rauskommst“, knurrte sie, „bevor ich es mir anders überlege.“
Livia lächelte, nahm Gunda noch einmal ganz fest in den Arm und stieg aus dem Wagen. Ein ganz leichter Sprühregen empfing sie und sorgte dafür, dass sie sich noch unwohler fühlte. Schnell holte sie ihre Reisetasche. Als die hintere Beifahrertür wieder ins Schloss fiel, ließ Gunda sofort den Motor an. Livia begann hektisch zu winken, musste aber feststellen, dass Gunda sich kein weiteres Mal zu ihr umdrehte. Sie starrte nur stur geradeaus.
„Mach’s gut“, flüsterte Livia hinter ihrer Freundin her. Sie konnte Gundas Gefühle nur zu gut verstehen. Es kam ihr ja selbst so vor, als würde ihr halbes Leben vor ihr davonfahren!
Als Gunda außer Sichtweite war, wanderte Livias Blick über den Parkplatz. Er war ziemlich voll – hier parkten mindestens zwanzig Autos. Weiter hinten entdeckte sie auch Arvins Audi Avant und Ennos 5er-BMW. Sie waren direkt nebeneinander geparkt, in trauter Zweisamkeit sozusagen.
Livia verzog das Gesicht. Sie hatte gehofft, dass Enno unterwegs war …
Mit der Reisetasche in der Hand bewegte sich Livia auf das Gebäude zu. Es war ein eckiger Kasten mit drei Stockwerken, einer schlichten weißen Putzfassade und zahlreichen, ziemlich großen Fenstern. Außer den Schildern, die sich an der Fassade wiederholten, gab es keine Verschönerungen, nicht mal Blumen oder Ähnliches. Dafür gab es zwei Türen – eine im linken Drittel des Gebäudes, eine im rechten. Aufgrund des Schildes wusste Livia, dass sie die linke nehmen musste. Sie drückte den Klingelknopf, unter dem sie ein weiteres Mal „Scholl & Krantz“ lesen konnte. Kurz darauf surrte der Türöffner.
Livia atmete noch einmal tief durch, drückte gegen die Tür und betrat ein kleines, aber gepflegtes Treppenhaus. Links und rechts luden Türschilder in die „Hellmann KG“ und das „Rechtsanwaltsbüro Stoick“ ein, helle Mamorstufen führten nach oben. Ein wenig zögerlich begann Livia, diese zu erklimmen. Ob Arvin sie schon gesehen hatte? Ob er schon an der Tür auf sie warten würde? Oder ob sie an Enno vorbeimusste?
Nichts von alledem war der Fall. Als Livia das erste Stockwerk erreichte, las sie „Scholl & Krantz“ gleich auf der Tür zu ihrer Rechten, doch blieb diese auch nach kurzem Warten weiter geschlossen. Da es sich jedoch um eine Tür mit Griff handelte, probierte Livia diesen kurzerhand aus. Und tatsächlich: Die Tür ließ sich öffnen. Sie führte in einen sehr hellen, großzügigen Raum, der Flur und Büro zugleich war. Hinter einem Schreibtisch saß eine Dame von vielleicht Ende vierzig, die an einem Computer zu arbeiten schien, aber jetzt aufblickte. Sie machte einen freundlichen Eindruck. „Haben Sie eben geklingelt?“, fragte sie.
Livia nickte scheu.
„Wir kriegen hier nicht oft Kundschaft“, sagte die Frau mit um Verständnis heischendem Lächeln. Sie hatte dunkle Haare, die bereits von silbrigen Strähnen durchzogen und elegant hochgesteckt waren. Auffällig war zudem, dass sie ein Headset trug. „Bei uns läuft eigentlich alles über Telefon und Computer.“ Als wäre das ihr Stichwort gewesen, klingelte jetzt das Telefon. Die Frau drückte eine Taste. „Scholl & Krantz – individuelle Software-Lösungen. Baumann am Apparat, was kann ich für Sie tun?“
Frau Baumann sagte jetzt ein paarmal „Ja“ und „Aha“ und bekannte dann: „Diese Frage muss Ihnen Herr Scholl selbst beantworten. Einen Moment bitte.“
Livia hörte vor Schreck auf zu atmen.
Frau Baumann drückte eine Taste. „Da ist das Dentallabor Eilers am Apparat. Irgendetwas funktioniert mit dem Programm schon wieder nicht … Ja, genau … Ich leg auf.“
Livia atmete weiter.
„Tut mir leid“, sagte Frau Baumann und lächelte Livia zu. „Eigentlich waren Sie ja zuerst hier. Aber das Telefon kann man so schlecht warten lassen.“
Livia nickte mechanisch. „Ich möchte auch zu Herrn Scholl“, sagte sie leise.
„In welcher Angelegenheit?“
Livia schluckte. „In einer privaten Angelegenheit.“
Frau Baumann sah Livia einen Moment lang prüfend an. „Und Ihr Name?“
„Ich bin …“ Sie stockte. Arvins Frau , hatte sie sagen wollen, aber das war ihr regelrecht in der Kehle stecken geblieben. Mit der Reisetasche in der Hand gab es eigentlich keinen Grund mehr, sich so vorzustellen. Sie räusperte sich. „Mein Name
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