Als gaebe es kein Gestern
jedenfalls nicht verändert. Livia wohnte nach wie vor im Haus, duldete Arvins Spaziergänge mit Spike und kümmerte sich ansonsten um den Haushalt.
Arvin schien mit dieser Situation leben zu können.
Für Livia war es furchtbarer als jemals zuvor. Zum einen war da diese Angst. Irgendjemand trachtete ihr nach dem Leben! Obwohl die Polizei fast ständig vor dem Haus Streife fuhr und Arvin auf Drängen des Herrn Walther eine neue Schließ- und Alarmanlage im Haus hatte installieren lassen, kam Livia nicht mehr zur Ruhe. Sie hatte zwar aufgehört, Arvin zu verdächtigen, lebte aber in dem Bewusstsein, dass jemand ins Haus eingedrungen war und auf professionelle Weise die Heizungsanlage manipuliert hatte. Wer hasste sie so sehr? Und wer gab sich so viel Mühe, um sie zu töten? Wäre Spike nicht gewesen, der ihr wenigstens ein kleines Gefühl von Sicherheit vermittelte, dann wäre sie wahrscheinlich schon längst zusammengebrochen. Aber auch so konnte man ihr die Angst deutlich ansehen. Sie äußerte sich vor allem darin, dass sie extrem schreckhaft war und hinter jedem Stein, jeder Straßenecke, ja, sogar hinter den Wohnungstüren Mörder und Einbrecher vermutete.
Und das war noch nicht alles …
Livia hatte ihr ganzes bisheriges Leben – soweit sie sich daran erinnern konnte – in Wartestellung verbracht. Erst hatte sie darauf gewartet, endlich gesund zu werden. Dann hatte sie darauf gewartet, dass ihre Ehe wieder funktionierte.
Aber seit jenem Tag waren alle Träume zerplatzt. Sie würde nie einen Menschen haben, der zu ihr gehörte, der sie brauchte und um den sie sich kümmern konnte. Nicht Arvin. Und auch nicht Enno.
Sie musste es irgendwie allein schaffen! Ganz allein.
Das Wie und das Wo war ihr nach wie vor ein Rätsel. Aber eines war ihr in den zwei Wochen wirklich klar geworden: Jeder Ort war besser als dieser hier, jede Art besser als die bisherige!
Und so stand sie mit entschlossenem Gesichtsausdruck vor ihrem Kleiderschrank und räumte ein paar wenige Sachen in die kleine Reisetasche, die sie schon aus dem Krankenhaus mitgebracht hatte. Hinzu kamen noch Zahnpasta und ihre Zahnbürste, ein Kamm, ein Portemonnaie mit ein bisschen Geld und ihrem Personalausweis sowie zwei Bücher über Blumen, die sie mal gekauft hatte.
Spike schien zu spüren, dass irgendetwas nicht stimmte, jedenfalls ließ er Livia nicht aus den Augen, sondern begleitete sie auf Schritt und Tritt und bettelte winselnd um Aufmerksamkeit. Livia schien ihn zunächst nicht zu beachten. Erst als sie mit dem Packen fertig war, kniete sie sich neben ihm nieder und umarmte ihn.
„Ich kann dich nicht mitnehmen, Dicker“, sagte sie mit belegter Stimme. „Das kann ich Arvin nicht antun. Außerdem weiß ich ja kaum, wie ich mich selbst ernähren soll.“ Sie zückte ein Taschentuch und schnaubte lautstark hinein. „Arvin wird sich gut um dich kümmern. Er liebt dich nämlich.“ Als hätte der Satz eine Schleuse geöffnet, rannen ein paar dicke Tränen an Livias Wangen herunter. Aber sie ließ nicht zu, dass mehr daraus wurde. Stattdessen wischte sie die Tränen mit einer kurzen ärgerlichen Bewegung ab und sah auf ihre Uhr. Schließlich hatte sie einen Termin einzuhalten.
„Mach’s gut“, flüsterte sie und küsste Spike auf den Kopf. Einen Moment lang hielt sie in dieser Position inne. Spikes Fell, das ihr Gesicht kitzelte, seine Wärme, selbst sein etwas strenger Geruch, das alles würde ihr fehlen … unendlich fehlen …
Sie stand auf. „Du bleibst hier!“, befahl sie mit fester Stimme. Dann griff sie nach ihrer Tasche und sah zu, dass sie das Haus verließ, damit sie es sich nicht womöglich noch einmal anders überlegen würde. Was sie jetzt vorhatte, war richtig. Mehr noch: Es war das einzig Vernünftige!
Als sie nach draußen kam, zeigte sich der Himmel in einem dunklen Grau. Immerhin regnete es nicht. Dafür stand Gundas Wagen bereits in der Einfahrt. Die Fahrertür war sperrangelweit geöffnet. Dahinter stand Gunda. Sie stützte sich mit den Armen auf der Tür ab, sah ansonsten aber ziemlich mürrisch und unglücklich aus. „Bist du wirklich sicher? Ich meine –“
„Ja!“, bellte Livia und schnitt ihr dadurch das Wort ab.
Gunda atmete einmal tief durch, sagte aber nichts.
„Es tut mir leid“, setzte Livia nach. Und dann zuckte sie hilflos mit den Schultern. „Aber wir haben das schon hundertmal durchdiskutiert.“
Gundas Blick verfinsterte sich noch mehr. „Leider ohne Erfolg“, knurrte sie.
Livia
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