Als gaebe es kein Gestern
nunmehr mit dem Gesicht seinen warmen Atem ein, roch seinen herben Duft …
Als Arvin die Augen öffnete, wich sie unwillkürlich zurück, wurde aber aufgehalten, weil sich eine große, kräftige Hand um ihren Nacken legte und jede Bewegung verhinderte. Aus tiefdunklen Augen sah Arvin sie an. „Darf ich …?“ In diesem Moment hatte seine Stimme einen unglaublich tiefen, vollen Klang.
Livia konnte nur apathisch nicken.
Und dann zog er sie auf seinen Schoß und küsste sie.
Und die Welt hörte auf sich zu drehen.
Das hier war nicht ein Kuss, wie sie ihn erwartet hatte. Er war nicht wie in den Filmen, die sie gesehen hatte, nicht so voller Leidenschaft, nicht … nicht so erwachsen. Nur zärtlich und vorsichtig … und voller Freude, so als hätte er nie zuvor jemanden geküsst, sondern sein ganzes Leben nur auf sie gewartet … auf Livia.
„Sag, dass du mir gehörst“, flüsterte er nach einer Weile. „Bitte sag es.“
„Ich gehöre dir“, hauchte Livia, mehr verwundert als alles andere. „Dir ganz allein.“
Und dann setzte er seine Liebkosungen fort, küsste aber nicht mehr nur ihren Mund, sondern ihr gesamtes Gesicht, ihre Augen, ihre Wangen …
„Da fühle ich nichts“, flüsterte Livia, als er die Stelle an ihrer Stirn erreicht hatte, die immer noch taub war.
„Wo?“ Er fuhr mit den Fingern über ihre Stirn und ließ sich genau beschreiben, wo sich die Stelle befand. „Stört dich das?“
„Seit eben ja“, lächelte Livia und konnte förmlich spüren, wie ihr Körper und ihre Seele unter diesen lang entbehrten Zärtlichkeiten aufblühten.
„Bei mir war diese Stelle hier“, sagte Arvin und deutete auf sein Herz. Und dann sah er sie mit einem unglaublich liebevollen Lächeln an. „Aber jetzt fühl ich da wieder was.“
„Warum –“, begann Livia, wurde aber unterbrochen, weil Arvins Handy klingelte.
„Die Firma“, seufzte Arvin, blieb aber demonstrativ sitzen. „Das hört gleich wieder auf.“
Sie lauschten dem Klingeln, bis es endlich aufhörte.
„Warum warst du so schlecht gelaunt in letzter Zeit?“, vollendete Livia die Frage von eben. „Warum –“ Das Handy begann erneut zu klingeln.
Arvin verzog gequält das Gesicht. „Es muss was Dringendes sein …“
Sofort stand Livia auf. „Dann gehst du besser ran.“
Arvin seufzte tief, erhob sich dann aber doch. Er durchquerte die Küche, nahm das Handy aus einem der Regale und drückte einen Knopf. „Ja? … Ach, du bist es … Ja, ich weiß, ich bin halt ein bisschen später als sonst … Hat das nicht Zeit bis – … Auch das noch … Ja, schon gut, ich komme …“ Nachdem er aufgelegt hatte, warf er Livia einen zutiefst bedauernden Blick zu. „Einer unserer größten Kunden kommt nicht mehr ins Programm … Wenn ich das nicht umgehend in Ordnung bringe, können wir den Laden endgültig dichtmachen.“
„Dann solltest du dich beeilen.“
„Ich werde mich beeilen“, sagte Arvin ernst. „Ich werde mich beeilen, wie ich mich noch nie zuvor beeilt habe. Glaubst du …“ – er grinste verlegen – „… wir können nachher da weitermachen, wo wir aufgehört haben?“
❧
Auf Arvin zu warten war noch nie eine solche Qual gewesen wie heute.
Warum war es ausgerechnet der Mittwoch, an dem sie nicht arbeitete?
Sie versuchte, die Zeit mit Putzen und Waschen auszufüllen, lief aber eigentlich nur im Kreis. Dabei vergewisserte sie sich immer und immer wieder, dass sie wirklich wach war und dass das, was sie heute Morgen erlebt hatte, nicht nur im Traum passiert war.
Wieso war es überhaupt passiert?
Ich liebe dich , hatte er gesagt und seine Worte klangen auch jetzt noch wie Meeresrauschen in ihren Ohren. Aber warum heute? Warum hatte er ihr das nicht schon viel früher gesagt? Und warum hatte er in letzter Zeit immer so schlechte Laune gehabt?
Fragen über Fragen, die die Qual, heute Morgen genau zum falschen Zeitpunkt unterbrochen worden zu sein, noch um vieles vergrößerten.
Um sich abzulenken, ging Livia einkaufen, besorgte Unmengen von Weintrauben und Lakritz und vergaß auf dem Rückweg Spike vor dem Laden. Als es ihr auffiel, hatte sie bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt. Sie hetzte zurück, holte Spike, der brav gewartet hatte, stieß fast mit einem Radfahrer zusammen und war heilfroh, als sie einigermaßen unbeschadet wieder zu Hause angekommen war. Immerhin ging es jetzt schon auf den Nachmittag zu. Ob Arvin heute früher nach Hause kam?
Sie wärmte sich ein bisschen Essen vom Vortag auf,
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