Als gaebe es kein Gestern
Fingern haltmachen würde.
„Das ist super“, lächelte Livia und hoffte, dass Vanessa einen Salat, den sie zumindest teilweise selbst geschnitten hatte, auch essen würde. „Außerdem bist du tausendmal schneller als deine Mutter.“
Karen verzog beleidigt das Gesicht. Sie saß vor einem Haufen Feldsalat und musste Hunderte von Blättern vom Strunk zupfen, was natürlich ziemlich lange dauerte. „Das ist wieder typisch“, schimpfte sie mit gespielter Entrüstung. „Erst gibst du mir die bekloppteste Arbeit von allen und dann beschwerst du dich auch noch über das Tempo. Unverschämtheit.“
Livia musste lachen. Sie war im Moment ohnehin recht guter Laune. Karen hatte sich erstaunlich gut von ihrem Zusammenbruch erholt. Im Grunde ging es ihr mit jedem Tag besser. Sie ging sogar schon wieder spazieren und half – wie jetzt – bei der Hausarbeit.
Vanessa hob ihr Schneidebrett und schaufelte die fertigen Gurkenstücke in die bereitstehende Glasschüssel. Dann betrachtete sie skeptisch den Rest ihrer Gurke. „Ich hab noch nicht mal die Hälfte“, stellte sie fest.
„Und ich noch nicht mal ein Drittel“, seufzte Karen.
Das Telefon klingelte.
Da Karen eingekeilt auf der Eckbank saß, erhob sich Livia. Das Telefon stand auf der Arbeitsplatte. Livia nahm es aus der Station und meldete sich mit ihrem Nachnamen.
Einen Moment lang blieb es still am anderen Ende der Leitung. Dann sagte jemand: „Hey.“
Livia schluckte. Sie wusste genau, wer dran war.
„Kannst du sprechen?“
Livia hob vorsichtig den Blick und sah zu Karen und Vanessa hinüber, die inzwischen leidenschaftlich darüber diskutierten, wer noch die meiste Arbeit vor sich hatte. „Nein“, krächzte sie. Gleichzeitig begriff sie, was das für seltsame Anrufe gewesen waren, die Karen in letzter Zeit erhalten hatte. Offensichtlich hatte Enno schon häufiger versucht, sie zu erreichen. Immerhin , dachte sie erleichtert, immerhin war es nicht der Mann mit der Baseballkappe.
„Geht’s dir gut?“
Livias Lippen wurden schmal. „Nein.“
„Können wir uns sehen?“, fragte Enno. Seine Stimme klang kleinlaut, was eigentlich ziemlich süß war …
„Nein.“
„Nur auf ’n Kaffee.“
Livia fröstelte plötzlich. Sie hatte nicht vor, sich mit Enno zu treffen. Aber es war beunruhigend, dass sie die Gründe dafür erst mühsam aus ihrem Gedächtnis hervorkramen musste … „Nein.“
„Du wiederholst dich“, sagte Enno. Ohne es zu sehen konnte Livia hören, dass er grinste. Aber es gelang ihr, ärgerlich zu bleiben.
„Wer ist dran?“, fragte Karen. Von einem Moment auf den nächsten war Livia das Zentrum des Interesses.
„Äh …“, stammelte sie, wollte das Telefon weglegen, besann sich dann aber und führte es zu ihrem Mund zurück. Dann sagte sie ein wenig mühsam: „Hören Sie, ich … ich bin beschäftigt … Suchen Sie sich jemand anderen für Ihre Umfrage, ja?“ Sie drehte Karen eilig den Rücken zu, stellte das Telefon in die Station zurück und atmete einmal tief durch. Aber auch jetzt hatte sie noch das Gefühl, beobachtet zu werden. Und tatsächlich. Als sie sich wieder umdrehte, traf sie ein Blick, der prüfender nicht hätte sein können.
„Gurken schneiden ist langweilig“, verkündete Vanessa in diesem Moment.
„Eben warst du noch ganz begeistert …“, wunderte sich Livia.
Vanessa zuckte die Achseln, schnitt eine dicke Scheibe von ihrer Gurke ab und begann, sie in Würfel zu zerteilen. Als sie es geschafft hatte, sagte sie wie beiläufig: „Ich glaub, ich hab meine Hausaufgaben noch nicht fertig …“
„Dann solltest du besser mal nachsehen“, schlug Karen vor.
Ein breites Grinsen legte sich auf Vanessas Gesicht. „Okay …“ Sie ließ ihr Messer fallen, sprang auf und war so schnell verschwunden, dass Karen und Livia nur noch ihre Staubwolke sahen …
„Na, so was“, sagte Livia und schüttelte verdattert den Kopf. Dann seufzte sie, nahm Vanessas Platz ein und begann die restlichen Gurken zu zerteilen.
„War das die Polizei?“, fragte Karen völlig unvermittelt.
Livias Kopf ruckte voller Erstaunen zu ihr herum. „Was? Ich meine … wieso?“
„Haben sie das Blut untersucht?“
Livia musste schlucken. In den letzten Tagen hatte sie sich häufiger gefragt, ob sich Karen überhaupt an das erinnern konnte, was sie ihr im Krankenhaus gesagt und gegeben hatte. Anscheinend konnte sie es. Sie schüttelte den Kopf. „Nein, ich … ich hab’s noch nicht weitergegeben …“
„Aber warum denn
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