Als gaebe es kein Gestern
in die Hand – „… hier. Trag das in die Küche, und du wirst dich wundern, wozu du auf einmal fähig bist!“
Livia stand einen Moment lang einfach nur sprachlos da und starrte auf die Kaffeekanne in ihren Händen. Wenn da nicht diese riesige Kluft gewesen wäre … diese Kluft zwischen ihrem Leben und dem, was ihre Mutter darüber wusste … dann hätte sie dem Vortrag vielleicht sogar geglaubt, aber so … Sie konnte allerdings nichts mehr dazu sagen, weil ihre Mutter bereits den Raum verlassen hatte. Und so blieb ihr nichts anderes übrig, als mit Kanne und Geschirr hinter ihr herzueilen.
Auf dem Flur begegnete sie dann Jan. Er trat just in dem Moment, in dem ihre Mutter in der Küche verschwunden war, hinter einem Schrank hervor. Es war fast so, als hätte er auf sie gewartet …
„Na, schon wieder am Arbeiten?“, sprach er sie an.
Livia schluckte. Arbeit war anscheinend das Thema hier. „Ich räume nur den Tisch ab“, erwiderte sie vorsichtig.
„Ich nicht.“
„Das seh ich“, nickte Livia.
„Und? Freust du dich schon auf Henning?“, erkundigte sich Jan. Die ganze Zeit schon sprach er betont leise, so als wollte er nicht, dass ihn jemand hörte.
Livia zog die Stirn in Falten. „Henning?“
„Du erinnerst dich wirklich nicht“, kommentierte Jan ihre Frage.
Livia spürte, dass ihre rechte Hand bereits zu zittern begann, und sagte: „Hör zu, Jan, ich muss dringend dieses Zeug hier loswerden. Wenn du willst, können wir uns morgen ein bisschen intensiver unterhalten, okay?“ Sie ließ Jan stehen und steuerte auf die Küche zu.
„Daraus wird wohl nichts“, rief Jan mit unterdrückter Stimme hinter ihr her. „Morgen kommt schließlich schon dein Verlobter.“
Livia blieb so abrupt stehen, als wäre sie gegen eine Mauer gerannt. Dann drehte sie sich in Zeitlupentempo wieder um. „Wer?“, flüsterte sie.
„Henning, dein Verlobter.“
Livia schluckte schwer. „Ich … ich bin verlobt?“, stammelte sie.
Jan nickte nur.
„Aber … aber das … davon weiß ich nichts … ich meine … niemand hat mich darauf vorbereitet!“
Jan zuckte nur die Achseln.
Währenddessen schwankte die Kanne bedenklich in Livias Hand hin und her. Sie konnte sie kaum noch halten. „Und wie …“, stammelte Livia, „ich meine … wie ist er so … liebt er mich … liebe ich ihn?“
Jan zögerte. „Ich … könnte natürlich etwas dazu sagen, aber ich denke …“ Er seufzte tief. „Ich denke, dass das etwas ist, was du selbst herausfinden solltest …“
„Angelika?“, ertönte Inges Stimme aus der Küche.
„Geh schon“, riet Jan, „sonst wird sie gleich hysterisch …“ Mit diesen Worten drehte er sich um und machte Anstalten, durch die nächstbeste Tür zu verschwinden.
„He, jetzt warte gefälligst mal“, rief Livia hinter ihm her. „Du kannst mich doch nicht so schocken und dann einfach abhauen.“
Aber Jan hörte nicht auf sie und hatte die Tür bereits durchschritten.
„Wer haut ab?“, fragte eine Stimme hinter Livias Rücken.
Livia seufzte tief und drehte sich zu ihrer Mutter um. „Niemand …“
„Oh, oh“, sagte Inge und starrte auf die schwankende Kaffeekanne in Livias Hand. „Das sieht ganz schön gefährlich aus.“
„Nimmst du sie mir ab?“, bat Livia.
„Konzentrier dich einfach“, schlug Inge vor. „Dann wirst du es schon schaffen.“
Livia hatte im Moment keine Kraft zu widersprechen. Die Nachricht von einem Verlobten hatte ihr für heute den Rest gegeben. Und so konzentrierte sie sich brav auf ihre Kaffeekanne und trug sie in Richtung Küche. Sie hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass sie so sehr an ihre Grenzen stoßen würde. Es kostete inzwischen all ihre Energie und Aufmerksamkeit, die Kanne in der Hand zu behalten. Dennoch gelangte sie unfallfrei in die Küche und wollte die Kanne an der nächstbesten Stelle absetzen.
„Stell sie dorthin“, sagte Inge und deutete auf die Kaffeemaschine.
Livia seufzte innerlich, gehorchte aber auch in diesem Fall und trug die Kanne hinüber auf die andere Seite der Küche. Anschließend wollte sie sie neben der Kaffeemaschine absetzen, war damit aber so beschäftigt, dass sie ihre linke Hand darüber vergaß. Sie sackte einen kurzen Moment etwas ab, wodurch die Tasse, die sich an oberster Stelle befand, gefährlich ins Wanken geriet. Livia sah das Unglück kommen, versuchte noch gegenzusteuern, hatte aber keinen Erfolg. Sie schrie auf und musste im nächsten Moment hilflos mitansehen, wie die Tasse zu
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