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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
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Boden fiel und dort mit lautem Geklirr in tausend Scherben zerbrach.
    „Oh, das tut mir leid“, seufzte sie und setzte nun endlich die Kaffeekanne auf der Arbeitsplatte ab. Dann befreite sie sich auch noch von dem Stapel Geschirr. „Immerhin hab ich die Kaffeekanne gerettet!“ Sie lächelte ihrer Mutter entschuldigend zu, doch gefror ihr dieses Lächeln schon einen Augenblick später zu purem Eis. Der Anblick ihrer Mutter ließ keinen Zweifel daran, dass sie gerade etwas Furchtbares angerichtet hatte. Blankes Entsetzen stand in ihrem Gesicht geschrieben. Und jetzt erinnerte sich Livia auch, was ihre Mutter vorhin gesagt hatte. Es war das Geschirr ihrer Urgroßmutter! Das Geschirr, das ihre Mutter wie ihren Augapfel hütete! „Oh, nein“, wimmerte Livia. „Es ist das Geschirr, das bis eben noch vollständig gewesen war, nicht wahr?“
    Ihre Mutter antwortete nicht. Sie starrte immer noch ungläubig auf die Scherben, die über die ganze Küche verteilt und sogar bis vor ihre Füße gefallen waren.
    „Das tut mir ehrlich leid“, sagte Livia in einem Tonfall, der um Vergebung nur so bettelte. „Ehrlich!“
    „Wir werden sie kleben“, flüsterte ihre Mutter.
    Livias Augenbrauen schossen in die Höhe. „W-wie bitte?“
    „Wir werden sie kleben“, wiederholte ihre Mutter, nun in einem sehr viel schärferen Tonfall.
    Livia wusste einen Moment lang nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Sie war doch eigentlich bei Arvin ausgezogen … Arvin war derjenige, der Porzellan klebte, oder etwa nicht? Abgesehen davon … hatte selbst Arvin das Kleben allein übernommen. „Nein“, hörte sich Livia sagen.
    Die Augen ihrer Mutter verengten sich. „Doch!“
    „Aber M-mutter“, sagte Livia, die im ersten Moment nicht gewusst hatte, wie sie ihre Mutter anreden sollte. Wie hatte sie sie früher angeredet? „Man kann Tassen nicht kleben.“ Und zwar genauso wenig, wie man Vasen kleben kann … „Erstens dauert es eine Ewigkeit, bis man ein solches Puzzle zusammensetzt.“ Arvin hatte eine ganze Nacht dafür gebraucht! „Und zweitens wird sie nie wieder so schön aussehen wie vorher!“
    „Erst machst du sie kaputt, und dann weigerst du dich, sie zu reparieren?“
    Livia spürte, wie sich eine ordentliche Portion Ärger in ihr zusammenbraute. „Ich hab sie nur kaputt gemacht, weil ich mehr tragen sollte , als ich tragen konnte “, sagte sie mit fester Stimme.
    „Ach, jetzt bin ich also schuld, ja?“, fauchte Inge Cordes ihre Tochter an.
    Livia seufzte tief. „So hab ich das doch nicht gemeint …“, probierte sie es in versöhnlicherem Tonfall. „Lass uns einfach die Scherben zusammenfegen und das Ganze vergessen, okay?“
    Aber der Gesichtsausdruck ihrer Mutter blieb hart. „Du willst mir also nicht helfen …“ Sie setzte sich in Bewegung, verließ die Küche und kehrte wenig später mit einem Handfeger und einem Fegeblech in die Küche zurück. „Auch gut. Dann klebe ich die Tasse eben allein. Anscheinend stört es dich nicht, dass ich Stunden damit beschäftigt sein werde, deinen Fehler wiedergutzumachen.“ Mit diesen Worten bückte sie sich und begann, die Scherben vorsichtig zusammenzufegen.
    Livia sah ihr einen Moment dabei zu und empfand eine Mischung aus Ärger, Trauer und Hilflosigkeit. Sie war gerade erst nach Hause gekommen und schon gab es Streit? Und überhaupt … sie wusste ja nicht einmal, wo sich ihr Zimmer befand und wohin sie sich zurückziehen konnte … Unruhig trat sie von einem Fuß auf den anderen. „Hast du denn Kleber?“, fragte sie schließlich.
    Zum ersten Mal blickte ihre Mutter auf. „Da vorne in der Schublade“, antwortete sie und deutete in die entsprechende Richtung.
    Livia seufzte und setzte sich in Bewegung.
    ❧
    Anderthalb Stunden später waren Livia und ihre Mutter immer noch damit beschäftigt, die Tasse mithilfe von Porzellankleber wieder zusammenzusetzen. In dieser Zeit hatte Livia fast ununterbrochen an Arvin gedacht. Ob seine Liebe zu jener Vase mit der Liebe ihrer Mutter zu dieser Tasse vergleichbar war? Arvins Bemühen, alles so zu lassen, wie es war, war ihrer Meinug nach Ausdruck einer tief verwurzelten Verlustangst, die mit dem Tod seiner Eltern zu tun haben musste. Aber was war der Grund für das Verhalten ihrer Mutter?
    Um es herauszufinden, hatte Livia mehrfach den Versuch gemacht, ein tiefer gehendes Gespräch mit ihrer Mutter anzufangen. Aber das war ihr nicht wirklich gelungen. Irgendwie sprachen sie nicht dieselbe Sprache …
    „Du fragst mich

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