Als gaebe es kein Gestern
es mir recht überlege, wäre das die Lösung all meiner Probleme. Ich könnte sie vor die Tür setzen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen. Ich könnte –“
„Hör auf!“ Dieses Mal war es Arvin, dem das Wort abgeschnitten wurde. „Vergiss das Thema einfach! Ich wusste sowieso, dass du blöde darauf reagieren würdest. Am besten, du besorgst ihr einfach die Unterlagen vom Zahnarzt und gut ist die Sache.“
Arvin sah seine Schwester ein wenig nachdenklich an. „Das wird schwierig“, sagte er schließlich.
„Warum?“
„Die Praxis ist vor ein paar Monaten abgebrannt. Erinnerst du dich nicht mehr?“
Karen riss die Augen auf. „Der Brand bei Dr. Dierks?“
Arvin nickte.
„Wie dumm“, sagte Karen, musste dann aber feststellen, dass ein kalter Schauer über ihren Rücken rieselte.
Kapitel 10
Als Livia an diesem Abend das Licht ausmachte, wusste sie bereits, dass die Nacht nicht die allerbeste werden würde. Sie hatte einfach zu lange gegrübelt. Zum hundertsten Mal hatte sie die Frage bewegt, ob sie zu Arvin ziehen sollte oder ob es irgendeine andere Alternative gab. Aber Karen hatte unmissverständlich deutlich gemacht, dass sie sie nicht aufnehmen würde. Und allein leben …? Schon der bloße Gedanke ließ sie schaudern.
Das größte Problem waren diese Albträume. Sie erschütterten Livia bis ins Mark. Und sie wurden nicht gerade seltener! Vielleicht hatte sie selbst Schuld daran. Die Angst vor dem nächsten Albtraum hielt sie vom Schlafen ab und führte dazu, dass sie oft viel zu spät ins Bett ging. Genau wie heute.
Livia wickelte sich tiefer in ihre Decke ein und versuchte, an etwas Positives zu denken. Karen war nicht weit. Sie hatte heute Nachtschicht und würde gleich morgen früh zu ihr kommen. Außerdem war eine Nachtschwester in der Nähe.
Aber es war schon so spät! Schon kurz nach zwölf. Und spätes Zubettgehen förderte diese Albträume, das wusste Livia mittlerweile.
Schwertlilien , dachte Livia, lila Schwertlilien . Damit befolgte sie einen Rat, den Karen ihr gegeben hatte. „Wenn du nicht einschlafen kannst“ , hatte sie gesagt, „dann stell dir eine Wiese mit Blumen vor.“ Das war ein guter Tipp. Livia liebte Blumen über alles. Und wenn sie sich diese Wiese vorstellte, dann hatte sie plötzlich das Gefühl, als könnte sie all die verschiedenen Düfte riechen, die die Natur zu bieten hatte.
Livia versuchte, im Geiste in die Alpen zu reisen, und stellte sich eine Alm vor, auf der die verschiedensten Blumen und Kräuter wuchsen. Schmetterlinge flogen von einer Blüte zur anderen und Kühe mit Glocken fraßen sich durch das satte Grün. Der Himmel war strahlend blau. Livia kam es so vor, als könnte sie die Wärme der Sonne auf ihrer Haut spüren. Sie bewegte sich vorwärts. Auf einmal war sie barfuß und spürte, wie das Gras unter ihren Fußsohlen kitzelte. Dann veränderte sich das Bild. In der Ferne erschien ein Berg, der schnell näher kam. Auf einmal türmten sich hohe Felsen vor Livia auf. Sie sah in die Höhe. Die Sonne blendete sie. Als sie ihre Augen mit den Händen abschirmte, entdeckte sie nur wenige Meter über sich ein Edelweiß, das neben ein paar Gräsern auf einem kleinen Felsvorsprung blühte.
Livia begann zu strahlen und machte sich ohne zu zögern auf den Weg nach oben. Ohne jegliche Anstrengung kletterte sie in die Höhe und näherte sich schon bald dem Edelweiß. Aber als sie es erreicht hatte und ihre Hand danach ausstreckte, entfernte es sich plötzlich von ihr. Livia sah in die Höhe und entdeckte es erneut ein paar Meter über sich. Da stand es nun, als wäre nichts gewesen, auf einem Felsvorsprung, der ziemlich viel Ähnlichkeit mit dem letzten hatte. Livia war irritiert. Sie kletterte höher, streckte erneut ihre Hand aus und musste ein weiteres Mal feststellen, dass sich die Blume vor ihr davonmachte. Sie wurde unruhig.
Verbissen kämpfte sie sich weiter in die Höhe, wurde aber ein drittes Mal enttäuscht.
Ihre innere Unruhe wuchs. Sie kletterte jetzt mit der Geschwindigkeit einer Bergkatze höher, erreichte die gute Position vom letzten Mal, verzichtete aber darauf, gleich zuzugreifen. Stattdessen beobachtete sie die Blume erst eine Weile und ließ ihre Hand dann wie bei einem Überraschungsangriff vorschnellen.
Dieses Mal wich die Blume nicht vor ihr zurück … sondern konterte!
Sie sprang mitten in Livias Gesicht und saugte sich darin fest.
Ein Schrei löste sich aus Livias Kehle, ging jedoch in dem unter, was ihr Gesicht
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