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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kirsten Winkelmann
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gemeinsame Basis hatten. „Und ich?“, hörte sie sich fragen. Ihre Stimme klang ein bisschen kläglich. „Konnte ich auch irgendetwas?“
    „Du warst eine Schönheit“, antwortete Enno und lächelte sie verlegen von der Seite an. „Eine umwerfende, unglaubliche Schönheit.“
    Livia schluckte schwer und rieb sich über die taube Stelle an ihrer Stirn. „Mit der Betonung auf ‚war‘“, sagte sie niedergeschlagen.
    „Na, hör mal“, protestierte Enno. „Das stimmt doch gar nicht. Du siehst … wie soll ich sagen …“ Er betrachtete sie einen Moment. „Du siehst schon ein bisschen anders aus als früher, aber du bist immer noch sehr hübsch. Und man sieht nicht, dass du einen schweren Unfall gehabt hast.“ Er zögerte kurz. „Lass mal sehen.“ Er rückte näher an Livia heran, streckte die Hand aus und legte sie unter ihr Kinn. Dann hob er ihr Gesicht ein wenig an und betrachtete es so intensiv, dass Livia unter seinem Blick errötete. „Da sind ein paar feine weiße Linien“, sagte er mehr zu sich selbst als zu Livia. „Aber die sieht man nur von Nahem. Und auch dann machen sie den Eindruck, als gehörten sie einfach zu dir. Nein, ich bleibe dabei. Du bist hübsch, sehr hübsch sogar.“
    Livia hatte das Gefühl, als wäre alles Blut, das sich in ihrem Körper befand, in ihren Kopf aufgestiegen. Den Rest spürte sie nicht mehr. Atmete sie überhaupt noch? „Wenn wir Freunde waren“, fragte sie fast tonlos. „Warum hast du mich dann nicht im Krankenhaus besucht?“
    Enno räusperte sich, ließ ihr Kinn los und rückte auf seinen Platz zurück. Der Zauber des Moments war verschwunden. „Arvin wollte es nicht“, antwortete er.
    „Hältst du dich immer an seine Anweisungen?“
    Für den Bruchteil einer Sekunde sah es so aus, als würde in Ennos Augen etwas aufflackern, dann verschwand der Eindruck wieder. „Du bist seine Frau“, sagte er ein wenig gepresst. „Wie könnte ich mich dann nicht an seine Anweisungen halten?“
    „Er hasst mich.“ Es war keine Frage mehr, sondern eine Feststellung.
    „Warum wohnst du dann hier?“
    Livia schluckte schwer. Sie war auf einmal den Tränen nah. Ennos Frage hatte nur bestätigt, was sie längst wusste. Arvin hasste sie. „Ich weiß nicht, wer ich bin!“, flüsterte sie mit letzter Kraft. „Ich … seh in den Spiegel und … kenne mich nicht! Weder von außen noch von innen. Hast du eine Ahnung, wie sich das anfühlt? Es ist, als wäre man mitten im Ozean ausgesetzt worden – ohne Boot, ohne alles. Man schwimmt in irgendeine Richtung und kann sicher sein, dass es die falsche ist. Man weiß nicht einmal, ob es Sinn macht zu schwimmen. Und wenn ich …“ – ihre Stimme drohte zu versagen – „… wenn ich nicht bald Boden unter die Füße bekomme, werde ich ertrinken!“

Kapitel 16
    Livia stand mit verschränkten Armen vor ihrem Beet und starrte es an. Es war gewachsen, sehr stark sogar. Sie hatte es jeden Tag um ein paar Blumen erweitert. Es reichte jetzt fast bis zur Einfahrt und verlieh dem gesamten Grundstück ein buntes, fröhliches Ambiente.
    Eigentlich hätte sie zufrieden sein müssen. Das Beet war ein Traum. Ganz nach ihren Vorstellungen. Und sie hatte gewonnen. Arvin hatte es nicht gewagt, noch einmal Hand an ihre Blumen zu legen.
    Aber es war ein fragwürdiger, ein erzwungener Sieg. Und Livia hatte den Eindruck, als hätte er Arvins Hassgefühle noch verstärkt. Wenn sie ihm begegnete, wirkte er wie ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch stand. Irgendetwas hatte schon immer unter der Oberfläche gebrodelt. Aber jetzt kam es ihr so vor, als könnte er es bald nicht mehr kontrollieren.
    Eine einzelne stille Träne rann an Livias rechter Wange hinunter. Das Beet war nicht das, was sie wollte. Es befriedigte sie nicht. Nicht wirklich jedenfalls. Sie wollte sich nicht nur mit Dingen beschäftigen, die sie für sich selbst tat. Sie wollte Dinge tun, die für andere wichtig waren! Sie wollte gebraucht werden! Aber das wurde sie nicht! Wie schlimm das für sie war, merkte sie schon allein daran, dass sie mehr und mehr Süßigkeiten in sich hineinstopfte. Gummibärchen, Traubenzuckerlollies, Kaubonbons – sie hatte inzwischen das ganze Sortiment zu Hause, das der Laden zu bieten hatte.
    Wenn das Karen wüsste … Aber Karen wusste es nicht. In letzter Zeit war sie sowieso mehr mit Arvin als mit ihr, Livia, beschäftigt. Immer wenn sie kam, redete sie auf Livia ein und versuchte sie davon zu überzeugen, dass das Beet wieder wegmusste, dass

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