Als gaebe es kein Gestern
genauer gesagt unter ihrem Bett, Luft zum Atmen fand.
Arvins Auto fuhr vor, als Livia gerade zum soundsovielten Mal aus dem Wohnzimmer in ihr eigenes Zimmer ging. Sie erstarrte. Das tapsende Geräusch, das ihre nackten Füße bis eben auf den Fliesen des Flures hervorgerufen hatten, wurde durch das Brummen des Motors und dann durch das Knacken einer Handbremse ersetzt.
Beide Geräusche klangen heute so beängstigend, dass es Livia so vorkam, als würden ihre Füße schlicht auf den Fliesen festfrieren. Und dieser Zustand pflanzte sich anscheinend von dort in alle anderen Körperteile fort! Die Nerven so gespannt, als handelte es sich um die Saiten einer Geige, wartete sie auf das Unvermeidliche und hatte doch nicht die Kraft, ihre Flucht fortzusetzen und ihr Zimmer aufzusuchen.
Der einzige Trost war die Tatsache, dass es auf dem Flur komplett dunkel war, doch hielt auch das nicht lange an. Arvin schien es heute besonders eilig zu haben, jedenfalls hörte Livia seine Schritte auf dem Tritt, dann das Geräusch des Schlüssels und das leise Knarren der sich öffnenden Haustür. Gleich darauf kroch ein schmaler Streifen Licht unter der Tür hindurch, die Flur und Eingangsbereich voneinander trennte. Und Livia befand sich immer noch in einem Zustand völliger Handlungsunfähigkeit!
Im nächsten Moment wurde die Tür geöffnet.
Arvin erblickte Livia sofort, was kein Wunder war, da sie nur wenige Meter vor ihm stand. „Oh“, machte er erstaunt, fing sich aber schnell wieder. Ohne sie eines Grußes zu würdigen, ging er in einem weiten Bogen um sie herum und steuerte auf das Wohnzimmer zu.
Lauf , flüsterte eine Stimme in Livias Innerem, doch fehlte ihr die Energie, darauf zu reagieren. Hinter ihr schwang die Wohnzimmertür auf, dann klickte der Lichtschalter.
Livia hörte, wie Arvin den Raum betrat und im nächsten Moment mitten in seiner Bewegung innehielt.
„Was –“, hörte sie ihn keuchen, dann setzte die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm ein.
Livia konnte nicht anders. Sie drehte sich um und sah just in dem Moment in sein Gesicht, in dem sich die Verblüffung in einen Ausdruck von Schmerz verwandelte. Aber es war kein gewöhnlicher Schmerz. Schon gar kein Schmerz, der zu einem kaputten Teddybären passen würde. Es war ein Schmerz, der so tief wirkte, so … existenziell, dass er einen ähnlichen Schmerz wie einen Blitz direkt in Livias Magen schickte.
„Das hast du nicht getan!“ Seine Stimme klang gar nicht mal verärgert, nur fassungslos.
Livias Hände ballten sich zu Fäusten. In diesem Moment bedauerte sie ihr Handeln mehr, als sie es jemals hätte ausdrücken können.
Gleich darauf trafen sich ihre Blicke und für den Bruchteil einer Sekunde schwappte ein Gefühl unglaublicher Verlorenheit aus Arvins Augen direkt in Livias Herz.
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Die Verbindung brach jedoch so schnell, wie sie entstanden war. Schon im nächsten Augenblick wurde Arvin wieder Herr seiner Gefühle und drängte seine nackte Seele in ihr Verlies zurück. Kalte Wut wurde zu ihrem Wächter. Sie schoss wie Hagel aus seinen Augen und schien die gesamte Umgebung abzukühlen.
Livia schauderte körperlich.
„Das … das wirst du mir büßen!“, knurrte Arvin.
Aber seine Drohung kam nicht an. Livia war noch viel zu benommen von dem, was sie gesehen hatte. „Ich büße schon“, flüsterte sie heiser. „Ich weiß nur nicht, wofür!“
Ihre verzweifelte Frage wurde jedoch auch jetzt nicht beantwortet. Als würde er flüchten, schoss Arvin an ihr vorbei und war im nächsten Moment zur Tür hinausgestürmt.
Livia schluckte. Sie wusste genau, was er jetzt vorhatte.
Es dauerte ein paar Sekunden, bis sie ihre zitternden Knie so weit stabilisiert hatte, dass sie ihm folgen konnte. Wenig später stand sie draußen vor der Tür und beobachtete mit einer seltsamen Distanz, wie Arvin auf die Blumen eintrat, die sie so liebevoll gepflanzt hatte. Seine Bewegungen waren dabei so heftig und unkontrolliert, dass man an seinem Geisteszustand zweifeln konnte. Jetzt ließ er sich sogar fallen, rupfte die Blumen mit den Händen aus, schleuderte sie auf die Straße und zerwühlte das Beet unter Einsatz seines gesamten Körpers.
Livia starrte ihn nur an, als beträfe sie das Ganze überhaupt nicht. Sie hatte es ohnehin kommen sehen. Was sie allerdings nicht hatte kommen sehen, waren ihre eigenen Gefühle. Im Moment war sie sich nämlich nicht sicher, ob sie ihre Blumen oder doch lieber Arvin bedauern sollte …
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Livias Mitleid hielt
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