Als gaebe es kein Gestern
Spike?
Sie stellte die Reisetasche ab und öffnete leise die Tür, die den Eingangsbereich vom Flur trennte. Sofort hörte sie Geräusche, die sie mit Spike in Verbindung bringen konnte. Erst winselte er, dann erklang ein Geräusch, das wohl mal zu einem Bellen weiterentwickelt werden sollte. Jetzt ähnelte es eher einem Husten. Im nächsten Moment polterte irgendetwas. Gleich darauf … lachte jemand lauthals los. Es war ein Lachen, das aus voller Kehle stammte und so ansteckend wirkte, dass Livia spontan grinsen musste. Ihre Reaktion hielt allerdings nicht lange vor. Sie erstarb mit dem Gedanken, dass niemand in diesem Haus sein sollte, der so lachte. Schon gar kein Mann. Oder war Enno hier?
Nicht, dass sie Enno jemals so hätte lachen hören …
Ihr Mund verzog sich schon wieder. Dieses Lachen klang so … so echt … so kindlich begeistert … so wundervoll , dass es sie magisch in seine Richtung zog. Vielleicht war Enno tatsächlich vorbeigekommen, um sie zu empfangen …?
Sie schlich leise vorwärts und bemerkte, dass die Tür des Wohnzimmers einen Spaltbreit offen stand. Dahinter schien ein wahrer Ringkampf im Gange zu sein, denn es polterte und rumpelte jetzt schon wieder. Außerdem hörte Livia ein Schnaufen, das alles andere als menschlich klang. Spike ?
„Gleich hab ich dich!“, keuchte jemand.
Vollkommen verblüfft blieb Livia stehen. Das war eindeutig Arvins Stimme!
„Spike, komm her“, lockte Arvin. „Komm, mein Dicker.“ Seine Worte klangen so sanft und freundlich, dass sie wie ein warmer Schauer über Livias Rücken rieselten. „Ja, du bist ein guter Junge“, säuselte Arvin. „Brav!“
Die wenigen Worte hatten einen erstaunlichen Effekt auf Livia. Ohne dass sie es wollte, schnürten sie ihr fast die Kehle zu. Dieser Gegensatz! Die tiefe männliche Stimme … und dann diese Zärtlichkeit, die darin mitschwang … Livia war wie erstarrt und konnte nur zuhören … einfach nur zuhören …
„Ja, das gefällt dir, nicht wahr?“
Livia spürte, wie eine Saite in ihr angeschlagen wurde, die niemals zuvor erklungen war. Ein Abgrund von Sehnsucht tat sich vor ihr auf …
„Hey, du Frechdachs“, lachte Arvin.
Livia hatte inzwischen am ganzen Körper eine Gänsehaut und merkte, dass die Sehnsucht sie zu überrollen drohte. Und dabei war es Arvin, der für diese Gefühle verantwortlich war. Arvin – der Mann, der möglicherweise versucht hatte, sie umzubringen! Der Gedanke brachte Livia auf den Boden der Tatsachen zurück und ermöglichte es ihr, sich wieder in Bewegung zu setzen. Sie versuchte, ihre Ohren vor Arvins Worten zu verschließen, schlich langsam rückwärts, gelangte bis zur Haustür, öffnete diese und ließ sie dann geräuschvoll wieder ins Schloss fallen. „Jemand zu Hause?“, rief sie lautstark.
Absolute Stille.
„Hallo?“, wiederholte sie.
Aus dem Wohnzimmer winselte es leise.
Livia durchquerte ein weiteres Mal den Flur und hörte, wie Spike von innen an der Tür herumkratzte. Gleichzeitig verbreiterte sich der Türspalt. Dahinter kam bereits eine schwarz-weiße Pfote zum Vorschein. Wenig später zwängte sich der ganze Spike hindurch, stürmte auf Livia zu und sprang jaulend an ihr hoch.
„Ist ja gut, mein Kleiner!“ Livias Tonfall hatte jetzt große Ähnlichkeit mit dem von Arvin. Sie hatte sich hingehockt und ließ es zu, dass Spike an ihrem Hals herumschleckte und gelegentlich auch mal das Gesicht erwischte. Sie war einfach nur erleichtert, dass er sie so begeistert begrüßte. Ihre schlimmste Befürchtung, dass er sich womöglich nicht einmal an sie erinnern würde, war nicht eingetreten. „Du bist ein ganz braver Hund. Ja, das bist du!“ Spike legte sich jetzt vor sie auf den Rücken und ließ sich erst einmal ausgiebig kraulen. Dabei hechelte er zustimmend.
Obwohl Livia es unheimlich genoss, Spikes warmen weichen Bauch zu streicheln, warf sie zwischendurch immer wieder einen Seitenblick auf die Wohnzimmertür. Wo war Arvin? Und warum ließ er sich nicht blicken? Er konnte ja wenigstens mal „Hallo“ sagen!
Livia überlegte einen Moment, ob sie einfach ins Wohnzimmer gehen sollte, entschied sich dann aber dagegen. Vielleicht war es ganz gut, wenn sie Arvin nicht begegnete …
Als sie sich schließlich erhob, stellte sich auch Spike auf seine Füße.
„Komm mit“, sagte Livia und entfernte sich ein paar Schritte vom Wohnzimmer.
Spike hingegen rührte sich nicht vom Fleck.
„Nun komm schon“, lockte ihn Livia und ging weiter. „Ich will
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