Als gaebe es kein Gestern
Wahrheit. Und Arvin vergnügt sich mit meinem Hund. Wie, glaubst du, fühlt man sich unter diesen Umständen?“
Karen antwortete nicht gleich, sondern klammerte sich an der Autotür fest und sah dem Taxifahrer, einem jüngeren Mann mit viel zu vielen Ohrringen, dabei zu, wie er den Lkw überholte. Erst als das Manöver abgeschlossen war, entspannte sie sich ein wenig und sagte: „Arvin vergnügt sich nicht mit deinem Hund. Er hat ihn gerade mal achtundvierzig Stunden lang versorgt und wird ihn in deine Obhut übergeben, sobald du wieder das Haus betrittst. Also übertreib nicht so.“
„Das Problem ist nur, dass der Hund gerade aus seiner gewohnten Umgebung gerissen wurde und im Begriff ist, eine Bezugsperson auszuwählen. In dieser sensiblen Phase sind achtundvierzig Stunden wie eine halbe Ewigkeit.“
„Hätten wir den Hund vielleicht sich selbst überlassen sollen?“
„Nein, aber ihr hättet jemand anderen fragen können. Du weißt ganz genau, wie ich zu Arvin stehe.“
„Wen, bitte schön, hätten wir denn fragen sollen? Manfred ist allergisch gegen Hunde. Und ich selbst musste arbeiten. Fällt dir sonst noch jemand ein?“
Livia verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. „Hast du Enno gefragt?“
Karen atmete einmal ganz tief ein und wieder aus. „Ich spreche nicht mit Enno.“
„Warum eigentlich nicht?“, wollte Livia wissen. „Was ist zwischen euch vorgefallen?“
„Das geht dich nichts an.“
„Dein Verhältnis zu Enno geht mich nichts an … Mein Verhältnis zu Arvin geht mich nichts an … Geht mich denn überhaupt irgendetwas an?“, schimpfte Livia. Mit vorgerecktem Kinn sah sie herausfordernd zu Karen hinüber, erntete aber nur Schweigen … was sie noch mehr in Rage brachte. „Und wenn mich dein Problem mit Enno schon nichts angeht“, meckerte sie weiter, „dann hättest du mich auch damit in Ruhe lassen können. Wie wär’s, wenn du im Hinblick auf die Unterbringung des Hundes einfach mal über deinen Schatten gesprungen wärst und an meine Interessen gedacht hättest?“
Karens Unterkiefer mahlte. „Ich denke also nicht an deine Interessen“, knurrte sie. „Und ich hatte das Gefühl, ich würde mich fast ununterbrochen nur um dich kümmern. So kann man sich täuschen …“
Livia schnappte einen Moment lang nach Luft und sagte dann mit weinerlicher Stimme: „Also, wenn dir das zu viel wird, brauchst du’s nur zu sagen …“
„Damit du dann endgültig in Selbstmitleid versinken kannst, ja?“ Bei diesen Worten sah Karen nach draußen, stellte fest, dass sie schon fast bei Arvins Haus waren, und sagte zum Taxifahrer: „Da vorne rechts auf den Hof bitte.“ Der Angesprochene setzte den Blinker und bog auf Arvins Grundstück ein. „Wirklich, Livia, manchmal hat man das Gefühl, dass du dich nur um dich selbst drehst. Kommt dir eigentlich nie in den Sinn, dass es andere noch viel schwerer haben als du?“
Im Leerlauf gab der Motor nur ein leises, gleichmäßiges Tuckern von sich.
„Andere wie Arvin, ja?“, erwiderte Livia und stieg umständlich aus dem Wagen. Während sie die Wunde am Arm kaum mehr spürte, schmerzte ihr Kopf doch noch ganz beträchtlich. Außerdem graute ihr schon jetzt vor der Begegnung mit besagtem Arvin. Ihr war, als könnte sie seinen fiesen Blick schon durch die Hauswand sehen. Ob Spike überhaupt noch am Leben war? „Arvin hier, Arvin da, Arvin, der bedauernswerte Arvin“, lamentierte sie, während der Taxifahrer ihre Reisetasche aus dem Kofferraum holte. Seltsamerweise störte sie die Anwesenheit des Fremden kein bisschen. „Das hält wirklich keiner aus.“
Karen kommentierte das Geschimpfe, indem sie demonstrativ im Wagen sitzen blieb. Und auch als Livia sich bückte und durch die geöffnete Tür noch einmal fragend in den Wagen hineinschaute, stieg sie nicht aus. „Nicht Arvin“, sagte sie von drinnen. „Ich meinte mich , Livia. Mich .“ Und dann zog sie einfach die Tür zu. Wenig später wurde der Wagen gestartet und das Taxi fuhr davon, ohne dass sich Karen von ihr verabschiedet hätte.
Livia starrte noch eine Weile entgeistert hinter ihr her. Was war denn das gewesen?
Schließlich seufzte sie tief und näherte sich dem Haus. Sie zückte ihren Hausschlüssel und schloss auf. Als sie den Flur betrat, roch sie sofort, dass irgendetwas anders war. Sie empfand es nicht als Gestank, merkte aber trotzdem, dass Spike jetzt hier lebte. Es roch einfach nach Hund oder vielleicht ganz allgemein nach Tier.
Aber wo war
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