Als Gott ein Kaninchen war
Gott.
» Warum?«, fragte sie und nahm das Handtuch vom Gesicht. Die Uhr tickte laut in der Stille. Sie sah mich kläglich quer über den Küchentisch hinweg an, und ich wünschte, mein Bruder würde wieder auftauchen, um mir in dieser besorgniserregenden Szene beizustehen. Mein Stuhl fühlte sich hart an. Der Orangensaft zu süß. Unsere Unbefangenheit plötzlich hölzern. Nichts war mehr wie vorher.
» Warum?«, fragte sie erneut, und wieder stiegen ihr Tränen in die Augen. » Warum? Warum? Warum? Warum? Warum?«
Ich konnte ihr nicht antworten.
» Ist es wegen mir?«
Ich spürte, wie es mir die Kehle zuschnürte.
» Natürlich nicht«, sagte ich. » Meine Eltern haben gesagt, wir müssen.«
» Wohin geht ihr?«, fragte sie und hielt das Kaninchen so fest, dass es anfing zu zappeln.
» Cornwall.«
» Da könntest du ja genauso gut tot sein!«, rief sie und ließ Gott fallen.
» Scheiße, Mann«, fluchte er und hoppelte hinter eine Kiste.
Sie sank in sich zusammen und stützte sich mit den Ellbogen auf den Knien ab.
» Und was ist mit Atlantis? Und mit all den Sachen, die wir noch machen wollten?«
» Es könnte doch auch in Cornwall sein«, sagte ich. » Vielleicht finden wir es ja da.«
» Es kann nicht in Cornwall sein«, meinte sie.
» Warum nicht?«
» Eben weil. Es muss ein Ort sein, der uns gehört. Verstehst du das nicht? Keiner, der für alle da ist«, und sie stampfte mit dem Fuß auf, als Wut sie überkam, eine Wut, die mein Bruder sooft gespürt hatte, wenn er mit ihr spielte. Es war ein Überschuss an Energie, die ihren Ursprung in der Gefahr hatte, eine Energie, die völlig unerwartet von Spiel in Krieg umschlagen konnte.
» Verlass mich nicht, Elly!«, flehte sie. » Bitte nicht. Du hast keine Ahnung, was dann passiert.«
Was hätte ich dazu sagen sollen? Ich streckte ihr meine Hand entgegen. Eine reichlich krasse und pathetische Geste.
» Ich hab dich wirklich lieb«, sagte ich unbeholfen.
Armselig.
» Nein, hast du nicht!«, rief sie. » Du bist wie all die anderen«, und sie sprang auf und rannte davon.
Ich lief ihr bis zum hinteren Zaun nach, rief ihren Namen, bat sie stehenzubleiben, flehte sie an, aber sie reagierte nicht. Die Rollläden schlossen sich. Sie würde sich dahinter verbarrikadieren, bis zum Tag meiner Abreise.
Wir fragten nie nach Fotos oder erkundigten uns nach dem Dorf oder dem Leben, das wir dort führen, nicht einmal nach den Schulen, die wir besuchen würden. Stattdessen vertrauten wir unseren Eltern, wie sie uns gebeten hatten, und erlaubten ihnen blind, uns an einen unbekannten Ort einer unbekannten Zukunft entgegenzuführen. Ich stand im Türrahmen meines Zimmers, sah mich um und fühlte mich traurig und seltsam unbeteiligt zugleich. In meine Lieblingstasche packte ich Orinoco, meinen Stofftier-Womble, meine Haarbürste, Fotos und meine Krimskrams-Schachtel, die wenig tatsächlichen Wert aber erstaunlich viel Erinnerungswert hatte. Ich packte auch meinen Badeanzug und meine Sonnenbrille mit ein, aber nicht meine Flip-Flops, weil ich vorhatte, mir am Meer neue zu kaufen. Mir war klar, dass ich mich glücklich schätzen konnte, weil ich mich um den Rest nicht kümmern musste. Dass ein Kind von neun Jahren und acht Monaten die Chance auf einen Neuanfang begrüßte, erschien mir damals nicht besonders ungewöhnlich. Ich setzte mich aufs Bett und legte mir ein Strandtuch um die Schultern. Ich hatte alles gepackt und war startklar; nur zwölf Tage und drei Stunden zu früh. Ich schloss die Augen und hörte die Rufe der Seemöwen.
Die Umzugsfirma tat alles, um unser Leben mit so viel Professionalität und mit so wenig Aufhebens wie möglich zusammenzupacken. Gerade als sie die Türen des Lasters zumachen wollten, warf ich noch einen Blick hinein und dachte, dass wir über die Jahre nicht gerade viel angehäuft hatten. Unser Hab und Gut war übersichtlich und funktional, beinahe elend. Es gab kein Klavier zu transportieren; keine Gemälde, um die neuen Wände zu schmücken, oder schwere Teppiche, um Holzfußböden, die sich an nackten Füßen immer kalt und rau anfühlten, wärmer zu machen. Es gab keine Stehlampen, die schon bald Schatten in Ecken werfen würden, oder riesige viktorianische Truhen, in denen Bettwäsche und Lavendelduftsäckchen aufbewahrt würden, und die sich über die Wintermonate anstrengen müssten, die Feuchtigkeit abzuwehren. Nein, all diese Sachen besaßen wir noch nicht; sie würden erst unser künftiges Leben zieren.
» Fünf
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