Als Gott ein Kaninchen war
der Insel leckgeschlagen war. Meine Eltern und ich beobachteten vom Ufer aus die Rettung. Meine Mutter hatte Tee in Thermosflaschen und warme Rosinenbrötchen für die Helfer und die Schaulustigen mitgebracht, und wir sahen dem seltsamen Kreisen der Möwen zu, raubvogelhaft witternd, und ihre Anwesenheit erfüllte uns mit verhängnisvollen Vorahnungen.
Auf der Rückfahrt herrschte feierlicher Ernst. Die Flut trieb uns mit ihrem pulsierenden Rhythmus auf dem Kamm anschwellender Wellen nach Hause, und als wir angelegt hatten und über die Wiese zum Haus gingen, kamen Nancy und mein Bruder uns schreiend entgegen.
Der Fernseher lief, als wir hineinrannten, und meine Mutter brach sofort in Tränen aus. Er sah mitgenommen aus, aber er war immer noch der gleiche, der gute alte Charlie. Sein Haar war lang und strähnig, und seine Augen wirkten eingesunken, als wollten sie sich in ihren Höhlen verstecken. Es gab kein Interview. Stattdessen wurde er mithilfe einer Decke abgeschirmt, in ein Auto verfrachtet und aus der Reichweite der Medien geschafft. Es kamen keine Details über seine Befreiung ans Licht der Öffentlichkeit, doch später erfuhren wir, dass eine Million den Besitzer gewechselt hatte, was uns irgendwie angemessen erschien. Und dann verschwand er erneut aus unserem Leben, jedoch dieses Mal nicht aus unserer Erinnerung. Von Zeit zu Zeit wurde sein Name ausgesprochen, und ein Lächeln kehrte auf die Lippen meines Bruders zurück. Langsam löste er sich aus dem traurigen Tanz, der ihn jahrelang als Geisel gehalten hatte. Er löste sich daraus und ließ wieder Möglichkeiten in sein Leben.
Der Weihnachtsmorgen. Ich sah hinaus in den Garten und dachte zuerst, die Wiese sei von einer dicken Schneeschicht bedeckt, aber es war bloß ein Nebelschleier, und ich konnte ihn das Flusstal entlang treiben sehen, wie weiße Steppenläufer. Ich schlich mich nach unten und linste ins Wohnzimmer. Unter dem Baum lagen Geschenke. Der Geruch von Feuerholz lag noch deutlich in der Luft; es war ein Geruch, von dem ich Hunger bekam, und ich ging zum Kamin, um nachzusehen, ob die Karotte für die Rentiere und der Mince Pie für den Weihnachtsmann schon aufgegessen worden waren und auch der Sherry bereits verschwunden war. Das Glas war nur halbleer, also trank ich es in einem süßen Schluck aus.
Ich schlenderte weiter in die Küche, um mir einen Keks zu holen, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung auf der Wiese draußen wahrnahm. Ich spürte, dass es größer war als ein Vogel oder ein Eichhörnchen. Rasch schlüpfte ich in ein Paar Gummistiefel und Dads alte Strickjacke, die neben der Hintertür hing, und trat hinaus in die kalte Morgenluft. Der Nebel hing kniehoch über dem Rasen, und es war schwer, unter den trüben Schwaden überhaupt etwas zu erkennen. Und dann sah ich es. Es hüpfte aus dem Nebel und hielt ungefähr zehn Meter von mir entfernt inne. Sein spitzer Kopf und sein kastanienbraunes Fell waren mir so vertraut, genau wie die kräftigen Beinchen und die Blume mit der weißen Spitze.
» Ich wusste, du würdest wieder zu mir zurückkommen«, sagte ich und ging gebückt auf ihn zu, doch er wich sofort zurück. Plötzlich begriff ich. Es war ein Abkommen, das gleiche, das mein Bruder geschlossen hatte: Ich bin hier, aber gehöre dir nicht. Und das Kaninchen hoppelte auf den Waldrand zu und verschwand so schnell wie ein Traum, aus dem man unsanft gerissen wird.
Ein neues Jahrzehnt brach an, und meine Eltern hatten endlich Pensionsgäste, die jedes Jahr wiederkamen und die alle ein bisschen so waren wie wir– eine Collage aus Nützlichem und Unpraktischem, Aufregendem und Banalem.
Ich hatte den Eindruck, dass nie normale Leute zu uns kamen, und falls doch, dann blieben sie ganz sicher nie länger als die eine aufschlussreiche Nacht. Meine Mutter liebte unseren saisonalen Familienzuwachs, den Gezeitenwechsel vertrauter Gesichter, der immer neue Geschichten und neue Vergnügungen an unsere Tür spülte, wenn die Stagnation des Alltäglichen sich dort festsetzen wollte wie hartnäckiger Schimmel. Unser Leben hatte sich den Gezeiten unterworfen: Freundschaften, Geld, Geschäfte, Liebe; nichts blieb je gleich.
Es war an einem heiteren Sommertag, als ich Arthur Henry zum ersten Mal durchs Dorf flanieren sah. In seinem farbenfrohen Kielwasser eine Spur aus offenen Mündern und kornischem Klatsch. Er trug Leinen und Pelz, ein blau-gelb gestreiftes Hemd und eine rosa-weiß getupfte Fliege, die so riesig war, dass sie seinen
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