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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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dauerhaften Freundschaft war, die sich als so zuverlässig entpuppen würde wie das stille Ende eines Tages. Arthur bezahlte nur für ein Monat im Voraus und zog in das kleine Häuschen neben unserem, mit dessen Renovierung mein Vater erst zwei Tage zuvor fertig geworden war. Der Geruch von frischer Farbe hing noch in der Luft, von den Dämpfen konnte einem schwindelig werden, aber für Arthur Henry zeugten sie von Frische, statt dass er sie als unangenehm empfunden hätte. Als er sein neues Zuhause betrat, breitete er die Arme aus und rief: » Welch Wonne!« Eine Wendung, die ich schon bald selbst übernahm; eine Wendung, mit der ich mich bei niemandem beliebt machte.
    » Wie findest du die Pastete?«, fragte Brenda, die Dame aus der Schulkantine.
    » Eine Wonne!«, antwortete ich, statt dem üblichen: » Okay.«
    » Nun werd mal nicht sarkastisch«, meinte sie beleidigt und zog den Extralöffel Erbsen, der schon so verführerisch über meinem Teller geschwebt hatte, wieder zurück.
    Als Arthur zu uns zog, hatte er bereits eine beeindruckende Karriere hinter sich, im Zuge derer er gependelt war zwischen der akademischen Welt und dem diplomatischen Dienst wie in einer wechselhaften Strömung. Er war diszipliniert, verbarg es jedoch hinter einer affektierten Leichtfertigkeit, die bei den Leuten den Eindruck erweckte, er schlendere völlig unbekümmert durchs Leben. Aber es kümmerte ihn durchaus vieles. Stets erwachte er um sechs Uhr morgens und spazierte hinunter zum Pier, um die sich stetig wandelnden Gesichter der Natur zu betrachten. Er bemerkte Kleinigkeiten, ganz besondere Dinge. Die neu hinzugekommenen Spuren eines jungen Rehs, die scheu auf der anderen Flussseite auftauchten. Den Stern, der bei Sonnenaufgang als letzter verschwand (es war immer der blasse, rechts der großen Eiche). Die klitzekleine Auswaschung an der gegenüberliegenden Uferböschung, wenn eine neue Wurzel zwischen Schlamm und Sand sichtbar wurde. Er öffnete mir die Augen für solch subtile Szenen der Veränderung, und immer wenn ich verkündete, mir sei langweilig, ging er mit mir hinunter ans Ufer. Er ließ mich alles, was ich sah, begeistert und staunend beschreiben, bis mein Körper wieder erfüllt war von den spannenden Aspekten des Lebens.
    Er machte Yoga auf der Wiese vor seinem Häuschen und konnte seine Gliedmaßen auf die extremste Art verbiegen, während sein Gesicht jedoch nichts als Ruhe und Konzentration ausstrahlte. Er sagte mir, er habe mit Yoga im Ashram von Mahatma Gandhi in Ahmedabad begonnen und seinen Geist geschärft, indem er zum Spaß über heiße Kohlen lief. Weil immer ein Zwinkern in seinen Augen lag, wusste niemand außer mir so genau, ob er die Wahrheit genauso mühelos dehnen konnte wie seinen Körper. Ich bemerkte immer den Unterschied zwischen Wahrheit und Dichtung. Es war die leise Veränderung in seinem Ton, eine Resonanz, die nur ich wahrnahm, wenn er die Grenze zwischen diesen beiden Zuständen überschritt. Aber wen kümmerte das am Ende schon? Die Wahrheit, betonte er immer, werde überbewertet, schließlich habe noch nie jemand einen Preis dafür gewonnen, die Wahrheit ausgesprochen zu haben.
    Ein Yogi hatte ihm einmal den exakten Zeitpunkt und die genauen Umstände seines Todes vorhergesagt. Mithilfe dieser Information war es ihm möglich gewesen, sich den Tag auszurechnen, an dem ihm sowohl sein Geld als auch sein Atem ausgehen würde (auch wenn er mir verriet, dass er, was das Geld beträfe, einen Puffer von fünf Tagen einberechnet hatte).
    » Wie wirst du sterben, Arthur? Sag mir– wie wirst du sterben?«
    Ich fragte ihn das ein ganzes Jahr lang jede Woche, bis er schließlich sagte: » Mit einem Lächeln auf dem Gesicht.« Eine Antwort, die mit ihrem enttäuschenden Spott meine blutrünstige Begeisterung zum Schweigen brachte.
    Während der Jahre, die ihm noch blieben, wollte er seine Memoiren schreiben und die Erlebnisse mit der Gelassenheit des Impotenten, wie er es nannte, im Geiste noch einmal aufleben lassen. Es waren Reisegeschichten: pikante, explizite Erzählungen der Streifzüge eines Lebemanns durch die Toilettenkabinen und zwielichtigen Bars rund um den Erdball. Doch in seinen Händen wurden sie zu einem fantastischen historischen Bericht von den sich über die Jahre wandelnden gesellschaftlichen Mustern. Und schnell wurde deutlich, dass Arthur Henry immer zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen war. Er war gerade aus dem Bus ausgestiegen, als Rosa Parks beschloss, nicht auszusteigen,

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