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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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Hals beinahe komplett verbarg. In einer Hand hatte er einen Stock, in der anderen eine Zeitung, und dann und wann verscheuchte er die Wespen, die sich von dem süßen, blumigen Duft angezogen fühlten, den seine blasse Haut verströmte. Ich folgte ihm. Doch nur bis zur Spielhalle, wo mich das plötzliche Bedürfnis, Flipper zu spielen, überkam und ich ihn widerstrebend dem noch anstehenden Tag überließ. Ich sah ihm nach, wie er den Quai entlangschlenderte, vorbei an den Krabbenfischern und den Fährmännern. Ich sah zu, wie er sich an Eltern vorbeischlängelte, die Zigaretten und Bier festhielten statt die Hände ihrer Kinder. Er gehörte in eine andere Zeit, eine elegantere Zeit, und doch schmückte er die Gegenwart mit einer einfachen Kuriosität und einem Charme, der mich tagelang in seinen Bann zog.
    Das nächste Mal sah ich ihn im Wald wieder. Er sprach laut mit sich selbst (Shakespearezitate, wie ich später feststellte) und tanzte wie eine Elfe in der davon völlig unbeeindruckten grünen Einsamkeit. Es war die Art von Tanz, die nicht für ein Publikum gedacht war, denn er war wild und kindisch und sprudelte aus einer inneren Quelle. Er trug dieselbe Kleidung wie beim ersten Mal, aber Wanderschuhe statt der polierten Budapester und hielt statt des Stocks einen Zweig mit Blättern in der Hand.
    Es machte mich verlegen, ihn in diesem privaten Moment zu beobachten, und als sich mein Gewissen meldete, kam ich aus meinem Versteck hinter einem Baum hervor. Ich sagte: » Guten Morgen, Sir«, und streckte ihm die Hand entgegen, mit einer Sicherheit, die nicht meinem Alter entsprach.
    Er hielt mitten in einer Pirouette inne, lächelte mich an und sagte außer Atem » Guten Morgen, junge Dame«, und schüttelte mir die Hand. Aus der Nähe wirkte er älter, aber so alt auch wieder nicht; vermutlich um die sechzig, denn seine Haut zeigte Anzeichen eines gepflegten Alterns und die Spuren einer längst vergangenen Eitelkeit, die ihm wohl einst strahlend wie der Sonnenschein aus dem Spiegel entgegengelacht hatte.
    » Ich mag Ihre Klamotten«, sagte ich.
    » Wie nett von dir«, erwiderte er.
    » Das ist mein Wald«, sagte ich.
    » Ist er das? Dann bin ich wohl ein Eindringling und ersuche deine Nachsicht«, und er verbeugte sich vor mir.
    Ich kicherte. Ich hatte noch nie jemanden getroffen, der sich so gewandt ausdrückte, und vermutete, er sei ein Dichter, der Erste, den ich je getroffen hatte.
    » Wo wohnen Sie denn?«, fragte ich ihn, während ich mich auf der Bank niederließ.
    » In einer reizenden Frühstückspension am Ostufer des Flusses«, antwortete er, setzte sich neben mich und rang nach Atem.
    » Ah«, sagte ich nickend und tat so, als ob ich genau wüsste, von welcher Pension er sprach. Er holte seine Pfeife hervor und klemmte sie sich lässig zwischen die Zähne. Er entzündete ein Streichholz, hielt es an den Pfeifenkopf und zog fest paffend daran, während aromatisch riechende Rauchwolken aus seinem Mund quollen und mich hungrig werden ließen. Ich dachte an die Kekse, die meine Mutter heute Morgen gebacken hatte– Butterkekse mit Schokoguss. Ihr Geruch hing noch in meinem T-Shirt. Mir lief das Wasser im Munde zusammen, und plötzlich zog es mich nach Hause.
    » Ich wohne in dem großen, weißen Haus gleich da drüben auf der anderen Seite«, sagte ich und zeigte vage in die Richtung, in der Hoffnung, ihn zu beeindrucken, weil ich mir so sehr wünschte, er wäre beeindruckt.
    » Ich bin beeindruckt«, sagte er, und ich wurde rot.
    » Mein Haus ist auch eine Frühstückspension«, erklärte ich.
    » Ist es das?«
    » Sie können mitkommen und es sich ansehen, wenn Sie mögen. Wir haben noch Zimmer frei«, beteuerte ich.
    » Habt ihr das?«, sagte er.
    » Wenn Sie bei uns wohnen, könnten Sie den Wald benutzen, wann Sie wollen. Ganz legal«, argumentierte ich.
    » Könnte ich das?« Er sah mich an und lächelte, und ich wusste sofort, dass sein Lächeln ein » Ja« war.
    Meine Mutter mochte Arthur von Anfang an. Es bereitete ihr große Freude, ihn unter ihre über die Jahre verwaisten Fittiche zu nehmen. Sie hatte es vermisst, mit jemandem zu leben, der älter war als sie und voranging; jemand, der sie von der Mauer der Sterblichkeit abschirmte, die jede Saison näherrückte. Jemand, der ihr ganz einfach sagte: Alles wird gut. Und er tat das alles, vom ersten Moment an als er zu uns kam und seinen Hut lüftete und seine Hallos rief. Keiner von uns ahnte, dass es der Beginn einer bereichernden und

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