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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Winman
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wird so überbewertet wie ein großes Glied«, sagte er und blickte in die Ferne, verloren in einem seiner geheimen Gedanken.
    » Welches Glied?«, fragte ich verwirrt.
    » Wie alt bist du?«, wollte er wissen.
    » Fast zwölf.«
    » Hör nie mit dem Spielen auf, Elly«, riet er mir und wischte sich die Hände an einem gestärkten, weißen Taschentuch ab, das er am Abend zuvor gebügelt hatte. » Hör nie auf zu spielen.«
    Ich schlug eine andere Richtung ein und lenkte uns weiter weg vom Sog der Insel. Die Strömung war trügerisch stark gewesen, und das leise Brummen unseres Motors klang angestrengt, als er gegen die Gezeiten kämpfte.
    » Arthur«, sagte ich und schirmte meine Augen mit der freien Hand ab. » Niemand muss sich Sorgen um mich machen. Am Ende wird alles gut werden mit mir. Du weißt, dass es so ist.«
    Er klopfte sich auf die Schenkel und sagte: » Genau das Gleiche habe ich in deinem Alter auch gesagt, Elly. Und schau mich heute an!«
    » Na also, da haben wir es doch!«, rief ich strahlend.
    » Da haben wir es«, sagte er und versank wieder in seinen Gedanken. » Übrigens, deine Mutter wollte, dass ich dich etwas frage.«
    » Ach?«, meinte ich, brachte das Ruder in eine feste Position und wickelte eine weitere Fangleine auseinander.
    » Was hältst du davon, zu Hause unterrichtet zu werden?«
    » Von wem?«, fragte ich argwöhnisch und machte einen abschließenden Knoten.
    » Von mir natürlich!«, rief er. Eine Rauchwolke flog mir ins Gesicht, und ich musste husten.
    » Ich bring dich bis zur Mittleren Reife. Englisch– Literatur und Grammatik, Mathematik, Geografie, Geschichte– mein Lieblingsfach– und Französisch und Deutsch. Deine Mutter kennt jemanden aus dem Dorf, der Kunst übernehmen würde. Also, was hältst du davon? Aber diskutiert wird nicht und, du wirst dir die Finger wund arbeiten. Hopp oder top?«
    » Top«, sagte ich schnell und ignorierte die Fangleine, die über die Bootskante rutschte und mit fünf heftig daran zerrenden Makrelen in den Tiefen des schäumenden Kielwassers verschwand.
    Die Sonne stand schon tief, und wir hatten unsere Fischquote erfüllt. Ich stellte den Motor ab, wir trieben mit der Strömung dahin– ein Moment der Stille; die Wellen schlugen plätschernd gegen die Bootsseite, eine Möwe flog über uns, der leise Ton eines Radios hallte aus einer nahen Bucht herüber. Nervös hievte ich den Anker über den Bootsrand. Ruck zuck wickelte sich das Seil ab, und ich achtete tunlichst darauf, meine Gliedmaßen vor seinem Hunger in Sicherheit zu bringen. Die Geschichten von Kindern, die von einem widerspenstigen Arm oder Bein in den Tod gerissen wurden, waren in meinem Kopf sehr präsent. Plötzlich erschlaffte das Seil, und ich entspannte mich wieder.
    Wir hoben und senkten uns sanft im Kielwasser eines vorbeifahrenden Motorboots, und als sein Lärm sich jenseits der Klippen wieder gelegt hatte, wickelte Arthur die Alufolie auseinander und reichte mir ein Stück Biskuitkuchen, mein Lieblingsgebäck. Marmelade quoll an den Seiten heraus, und ich leckte meine Hand ab; ein sonderbarer Geschmack nach Erdbeere, Buttercreme und Fisch. Ich linste hinüber zu dem Alufolienpäckchen und fragte mich, ob wir uns das letzte Stück Kuchen wohl noch teilen konnten. Und als ich es ihm gerade vorschlagen wollte, hallte der Klang einer Glocke aus der Ferne zu uns herüber.
    » Sag bloß hier in der Nähe gibt es eine Kirche?«, rief Arthur erstaunt, während er sich eine Tasse Tee aus seiner Thermosflasche eingoss und sich suchend in der wässrigen, einsamen Umgebung umsah.
    » Nein, nein. Es ist nur eine Glocke auf dem Wasser. Weit da draußen«, erklärte ich und zeigte auf einen undeutlichen senkrechten Strich, der tatsächlich ein Leuchtturm war. » Nicht viele Menschen wissen davon, aber ich schon, Arthur. Ich hab sie gesehen.«
    » Hast du das? Also ich mag den Klang. Ziemlich unheimlich«, sagte er. » Es klingt traurig. Wahrscheinlich trauert sie um all jene, die auf See verschwunden sind.«
    » Wahrscheinlich«, stimmte ich ihm zu, obwohl ich es so noch nie betrachtet hatte.
    Für mich war es bloß ein Abenteuer gewesen, nichts weiter. Ein Abenteuer, das die meisten für ein Produkt meiner Fantasie hielten, aber ich hatte sie wirklich gesehen. Ein Jahr zuvor war sie vor uns aus dem Nebel aufgetaucht, eine große Glocke aus Messing. Sie trieb auf den Wellen, als wäre sie achtlos von einem himmlischen Kirchturm heruntergeworfen worden. Es war eine Glocke, die

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