Als Gott ein Kaninchen war
zu verzeihen, was ich getan habe, und das erweist sich als meine schwerste Aufgabe. Ich muss neun Jahre absitzen.
Sie sagen, dass ich vielleicht schon früher rauskomme, wegen guter Führung. Ich hätte weniger bekommen sollen, das sagen alle, sogar die Polizei. Sie glauben nicht, dass es Mord war …
» Scheiße!«, raunte ich, und die ganze Sippe aus Pelynt drehte sich zu mir um. Genauso wie Arthur und Ginger.
… sie wussten, dass es Notwehr war, also wurde ich am Ende nur wegen Totschlags verurteilt. Der Richter war sehr nett und verständnisvoll, aber er erklärte mir, er habe keine Wahl. Was zählt, sind Präzedenzfälle und mildernde Umstände, aber ich denke, das kann Dir Dein Vater genauer erklären.
» Was ist?«, formte Ginger, die des Singens plötzlich überdrüssig geworden war, mit den Lippen. » Was ist?«, wiederholte sie noch einmal.
» Gleich«, zischte ich ihr zu und fuhr mit dem Lesen fort.
» Sag’s mir jetzt«, sagte sie und fing an zu lachen.
Ich hoffe, es geht Dir gut. Auch wenn ich das Wort mit M erwähnt habe, bitte hab keine Angst vor mir. Ich bin noch immer ich, Elly. Nicht das Monster, das einige Leute aus mir machen wollen.
Om Shanti und mach’s gut.
Deine Jenny
PS : Ich verstehe, wenn Du mir jetzt nicht mehr schreiben möchtest. Ich dachte bloß, es ist am besten, alles ganz offen anzusprechen. Den Diabetes habe ich weiter im Griff. Danke, dass Du Dich noch daran erinnert hast.
PPS : Briefmarken wären toll. Die sind hier ein offizielles Zahlungsmittel.
Ich legte den Brief weg, und Ginger beugte sich zu mir und legte ihre Hand auf meinen Arm.
» Jenny Penny hat jemanden umgebracht«, sagte ich im Takt der Musik.
» Psst«, hörte ich von hinten.
» Was? Das komische Mädchen mit den widerspenstigen Haaren?«, fragte Ginger.
» Sag es Arthur«, bat ich sie, und sie wandte sich an ihn, packte seinen Kopf und zog ihn an ihren Mund, als sei er ein reifer Pfirsich. Ich stupste meine Mutter an und flüsterte in ihr Ohr.
» Was?«, zischte sie.
Ich sagte es ihr noch einmal.
» Ermordet?«, fragte sie. » Ich glaub es nicht.« Und als die Musik halbherzig ihrem Ende zu dudelte, ergriff sie meine Hand und sang laut zum Himmel: » Herr, erbarm, erbarme dich. Lass uns deine Güte schauen.« Und schließlich: » Auf dich hoffen wir allein; lass uns nicht verloren sein.«
Amen.
Nach einer weiteren monotonen Lesung über verantwortungsbewusste Elternschaft, deren Botschaft meine Eltern damals Gott sei Dank mit der Tollkühnheit des Fahrers eines gestohlenen Autos umgangen hatten, war ich dankbar, als Ginger sich schließlich erhob, um zu singen. Alan und Alan Junior strahlten. In ihren Augen war Ginger ein Star, weil sie einmal zusammen mit Frank Sinatra gesungen hatte (was tatsächlich stimmte). Deshalb hatten sie das Gefühl, nur einen Schritt davon entfernt zu sein, den berühmten Mann wirklich dabeizuhaben. Und so konnten sich die beiden Männer, als sich Ginger, vorn am Altar angekommen, unnötigerweise verneigte, auch einen winzigen Begeisterungsausbruch nicht verkneifen. Als sie ihr Lied dann jedoch » Jenny Penny, unserer Freundin, die zu Unrecht wegen Mordes verurteilt wurde« widmete, zuckte ich zusammen. Ich hätte mich nicht mehr bloßgestellt fühlen können, wenn ich nackt dort gesessen hätte. Sie hatte völlig freie Hand bei der Auswahl des Lieds bekommen und sollte einfach singen, was immer sie für diesen Anlass angemessen hielt. Aber als sie dann die erste Zeile von » I Who Have Nothing« sang, wunderte sogar ich mich, wie sie darauf gekommen war.
» Ein Kind kommt mit nichts auf die Welt«, erklärte sie später und stürzte ein großes Glas Scotch in einem Zug hinunter, als verstehe sie überhaupt nicht, was die ganze Aufregung sollte.
Bei uns ging normalerweise niemand früh ins Bett. Es war geradezu undenkbar, eine Art stille Übereinkunft; es wurde einfach nicht gemacht. Wir schliefen erst, wenn sich alle Gespräche erschöpft hatten, wenn wir auch noch die letzten Reste aus ihnen herausgepresst hatten und der Raum, den sie hinterließen, leer blieb, leblos, müde. Oft hatte ich mit meiner Mutter dagesessen und zugesehen, wie der marineblaue Himmel einen Lichtkranz aufgesetzt bekam, wenn die Sonne langsam auf den Horizont übergriff und die dunkle Decke wegschob, um Platz zu machen für ihr Strahlen, das wie ein übernatürlicher goldener Ball erschien. Und manchmal nahmen wir auch das Boot und fuhren hinaus zur Hafenmündung, oder auch weiter, und
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